Edda Winkel
Das ganze Leben ist ein Spiel
Das ist ein Spruch, der taugt nicht viel.
Da könnte mit Beharrlichkeit
in unbestimmter Lebenszeit
ein jeder ein Gewinner sein.
Wo ordnet sich der Schwache ein?
Der, der schlechte Karten hat
kommt nicht zum Zug im Lebensskat.
Stimmt Geburt und Zufall nicht
zieht ein schweres Bleigewicht
ihn in Tiefen schlimmster Art.
Er kann strampeln, ihn bewahrt
bei and`rer Haut in fremdem Land
nichts vor des Menschen Unverstand.
Wer am falschen Platz geboren
hat von vornherein verloren,
fristet kümmerlich sein Leben,
ihm steh´n Geld und Macht entgegen.
Versucht gar einer auszubrechen,
muss er mit dem Schlimmsten rechnen.
Wie ein verspieltes Gnu am Nil,
wird er gepackt vom Krokodil.
Nur von der Herde aufgenommen
könnt er dem sich`ren Tod entkommen.
Großes kann er nicht entscheiden,
muss reagieren oder leiden.
Wer kämpft, der kommt vielleicht an`s Ziel,
das Leben scheint nur wie ein Spiel.
Betrachte ich`s aus dieser Sicht,
trifft der Spruch die Sache nicht
Nebulöses
Der Bruder kam zur Schule. Kurz vor Weihnachten erklärte er: Da geh ich nicht mehr hin, ich kann lesen, schreiben, rechnen, das genügt! Aber Heining , schmunzelt der Vater, dein Kopf ist wie eine Kommode mit vielen Schubladen, die sind noch lange nicht voll. Bei Edda auch nicht, die geht schon sechs Jahre zur Schule, will mein Bruder wissen. Ach, bei ihr ist der Kopf schon keine Kommode mehr, eher eine Wundertüte, aus der immer neue Überraschungen kommen, ist Vaters Antwort. Wir waren beide enttäuscht, mein Bruder, weil seine Kommode noch lange nicht voll ist und ich, weil ich lieber auch eine ordentliche Kommode gehabt hätte und keine alberne Wundertüte. Heute denke ich anders darüber. Das Gehirn ist phantastisch, rätselhaft, so erklärt und unerklärt. Eine Wundertüte ist ein guter Vergleich.
Voraus schauend handeln, lernen, behalten, was passiert da in unserem Gehirn?
Gefühle werden hier gesteuert, von außen durch Musik beeinflusst. Ungeborene reagieren darauf.
Zahlreiche Wissenschaftler beforschen das Gehirn, finden auch dies und das heraus, vieles bleibt im Nebel.
Manchmal stecken Überraschungen in der Wundertüte. Ein Forscher hat entdeckt, dass das schädliche Plaque im Gehirn bei Alzheimermäusen durch Metylblau aufgelöst wird.
Eine Hoffnung? Oft noch tappen wir im Dunklen.
Was wissen Tiere von sich? Elstern erkennen sich im Spiegel, was erkennen sie von ihrem Ich? Was weiß ich von mir
und was von unserer 97jährigen Mutter, die nur noch wenige Bilder aus der Kindheit in ihrem Gedächtnis zu haben scheint. Ich sehe mit Bestürzung, wie ihr das Kurzzeitgedächtnis schwindet, ihr Interesse an der Welt geringer wird. Es schmerzt als sie den Bruder fragt: Wer sind Sie denn?
Manchmal lichtet sich ihr Nebel, sie zeigt mir die gelbgefärbten Blätter der Bäume. Guck mal wie schön, es ist Herbst!
Ihre Entwicklung scheint rückwärts zu laufen, nähert sich der Kindheit, also spielen wir und raten. Eifrig sucht sie nach Farben. Ich necke sie und sage: Ich sehe was, was du nicht siehst und das sieht blau aus! Sie sucht und sucht und lacht aus vollem Hals, als ich sage: Das sind deine Augen! (2019)