Dies ist eine kostenlose Homepage erstellt mit hPage.com.

  Am Abend


Rückschau

Roller, Ball und Stelzen waren
Lieblingszubehör vor Jahren,
Springseil , Murmeln und auch Reifen
Spielzeug durch die Welt zu streifen.

Um das Haus, den Hof entlang,
Pause auf der Rasenbank.
Auf dem Platz die Kinderschar
Ständig da versammelt war.

Kreischen, Lachen und Gesang,
Tag für Tag, oft stundenlang.
Himmel, Hölle ausprobieren,
„Wer das liest ist doof“ studieren.

Wir zogen durch die gold´ne Brücke,
schwarze Köchin in der Mitte.
Ringlein, Ringlein musste wandern,
von der einen Hand zur andern.

Keiner spielt für sich allein,
wenigstens zu zwei´n , zu drei`n.
Ständig sind wir uns begegnet.
Ich glaube damals hat es nie geregnet. 


Die Schönheit von Reuß


" Ist Oma in Ostpreußen oder im Rheinland geboren?" fragt mich die Tochter . Ich muß nachdenken. Bevor meine Mutter Hildegard Bahlo in Rostock heimisch geworden ist, war sie im Rheinland und in Ostpreußen zu Hause. Ihre Mutter stammte aus dem Rheinland und da kam auch sie zur Welt. Die väterliche Seite hatte ihre Wurzeln in Ostpreußen, in dem kleinen Dorf Dorschen bei Reuß in den Masuren.Warum meine Oma Auguste und der Opa Johann nicht an einem Platz geblieben sind weiß ich nicht, es mag an dem sehr kleinen Bauernhof in Dorschen und den besseren Arbeitsmöglichkeiten im Ruhrgebiet gelegen haben. Meine Mutter wurde in Duisburg Hamborn geboren, wuchs dort auf . Als Verkäuferin wurde sie durch ein Inserat der Fleischerfachzeitung nach Rostock verschlagen. Sie lachte über den Namen ihrer Kollegin Jenny Krautwurst und ahnte nicht, daß Ihr bei einem Ausflug Heinz Fretwurst begegnen würde. Nebeneinander im Hinrichshagener Krug sitzend beschwerte sie sich plötzlich bei ihm: "Sie haben mich eben mit Ihrer Zigarette verbrannt!" Entschuldigung, Gespräch, gemeinsamer Rückweg, verliebt,verlobt, verheiratet, ich bin die erste Tochter von Heinz und Hildegard Fretwurst, fünf Jahre später kam mein Bruder Heinz - Gerhard dazu. Während dieser in späteren Jahren die Mutter ins Rheinland begleitete, fuhr ich dreijährig mit der Mutter nach Ostpreußen. Seltsame Dinge sind mir davon im Kopf geblieben. In Berlin mußten wir umsteigen in einen Zug mit kleinen niedrigen bunten Wagen, der fuhr unter der Erde. Im Zug nach Ostpreußen war es so voll, daß wir unser Abteil nicht verlassen konnten. Aber wie hab ich mich erst in Dorschen gewundert, in der Stube konnte man den Fußboden hochheben und über eine Leiter in den Keller steigen. Vor dem Fenster waren auf dem Hof Holzscheite aufgestapelt, ich stieg hinauf und konnte von draußen ins Zimmer sehen. Das schien aber dem Hahn nicht zu gefallen, er flog mir auf den Kopf. Ich schrie und wurde durch Oma Auguste befreit. Sie schimpfte : "Du Lorbaß , laß das Marjellchen in Ruh," und scheuchte den Hahn davon. Wenn sie mich abends ins große Bett legte, sang sie leise: "Schlaf Kindlein schlaf, der Vater hüt die Schaaf ... " Die Leute in Dorschen sprachen von meiner Oma als der Schönheit von Reuß. Dort war sie vor Jahren schon dem Opa Johann wegen ihrer langen blauschwarzen Haare ins Auge gefallen. Und auch ich erinnere mich, wie sie morgens vor dem Spiegel stand , sorgsam das Haar kämmte , es zu einem dicken Zopf flocht und war der fertig, zufrieden lächelnd zu einem Knoten auftürmte. Stolz war der Opa auf seine Auguste und schenkte ihr ein teures Kleid aus Paris. Die Oma Auguste war hugenottischer Abstammung , ihre starken Gene haben sich mit verblüffender Ähnlichkeit bei den Nachkommen und mit hoher Lebenserwartung durchgesetzt. Meine Tochter freut sich darüber und verlangt nun:"Deine Oma ist 87 Jahre alt geworden, deine Mutter 97, du mußt 107 werden und dann schaffe ich 117!"
                    Und - möchte ich das?


               Nicht Thomas war der Ungläubige

Mittags klingelt das Telefon. „ Winkel“, melde ich mich, „ wer ist am Apparat?“ „Erkennst Du meine Stimme nicht?“ „Nein, wer sind Sie denn?“ Sohn, Bruder, Enkel, Nachbarn, Bekannte, Freunde keiner klingt so jugendlich und klar. „ Nein, wer sind Sie?“ „Aber Edda, Du kennst mich doch, Du warst in zwei Chören!“ Ein Sänger also, ich sage „ Stimmt, früher hab ich im Lehrerchor gesungen, jetzt noch im Ernst- Busch-Chor, “ und wechsle die Anrede, „aber wer bist Du?“ „Ich bin Thomas Lange!“ Ich lache: „Nee, den kenne ich, Thomas Lange bist Du nicht, der war sieben Jahre mein Chorleiter. „Frag mich nach etwas Gemeinsamen“, fordert die Stimme. „ Was haben wir in Riga gemacht?“ will ich wissen. Die Stimme:„ Wir waren da zur Chorolympiade, die meisten per Bus einige mit dem Flugzeug!“ Das stimmt, er muss aus dem Lehrerchor sein. „ Bist Du Bass oder Tenor?“ frage ich. „Ich bin Thomas Lange!“ „Ich glaube Dir nicht!“ „Wer bist Du, was willst Du?“ „Hast Du die neue Telefonnummer von Sigrid S.“, fragt er. „ Nein leider nicht, aber sag mir nun, wer bist Du?“ „Thomas Lange!“ Ungehalten reagiere ich:„ Wenn Du mir jetzt nicht die Wahrheit sagst, lege ich auf!“ „Ich gebe Dir meine Frau!“sagt er- „Gabi“, meldet sie sich. Wessen Frau heißt Gabi? „ Ich bin die Frau von Thomas Lange!“ „ Das glaube ich nicht, ich kenne doch seine Stimme!“ „Ich gebe ihn Dir nochmal,“ meint sie. Kleine Pause, der Hörer knackt. „Thomas Lange“, sagt er wieder und jetzt - ich bin sprachlos -, erkenne ich den Stimmklang. Na das ist ein Ding! „Ich dachte, da will mich einer veräppeln!“ Thomas lacht: „Kaum zu glauben, ich war sogar zum 65. in Deiner Wohnung.“ „ Ich freue mich sehr über Deinen Anruf, damit habe ich nicht gerechnet, Deine Stimme klang so jung, ich dachte, Du bist einer der Chorsänger, die später zu uns gestoßen sind.“ Wir tauschen uns aus, ein bisschen Buschchor hier, ein bisschen Lehrerchor da, immer wieder unterbrochen vom Lachen über meine Ungläubigkeit. Als ich ihm erzähle, dass ich mich in meiner Weihnachtsgeschichte für den Buschchor auf seine Lebensweisheit über den Zeitstrahl auf dem wir alle leben beziehe, freut er sich. Schließlich legen wir auf.
Da fällt mir ein, wir haben nicht über das beeindruckende Konzert vor einer Woche zum 70. Geburtstag des Konzertchores Berliner Pädagogen gesprochen. Ich wähle, die Nummer ist noch auf dem Display zu sehen und melde mich verschmitzt: „Hier ist Sigrid S,!“ „ Haha, Du legst mich nicht rein“, reagiert Thomas und ich sage: „Ich habe vergessen, Dir für das Konzert am Wochenende zum 70.Geburtstag des Chores zu danken, es hat mich zu Tränen gerührt!“ „Weil Dir die Lieder vertraut waren?“ „Das auch, aber wie und was ihr gesungen habt hat mich angefasst, wie auch die vielen Umarmungen der vertrauten Sänger und ihre Freude über meine Anwesenheit! Thomas erzählt mir, dass es ihm wichtig war, unseren früheren Chorleiter Hans- Eckard zu ehren, Lieblingslieder und Kompositionen von ihm ins Programm zu nehmen. Ich bedanke mich für den anrührenden Rückblick mit vertrauten Liedern, für die politischen Aussagen mit Texten von Steineckert über Brecht bis Äsop und für den bunten mitreißenden Schluss, der zum Mitsingen einlud.
Stundenlang geht mir der unverhoffte erfrischende Gedankenaustausch mit Thomas nicht aus dem Sinn, bewegt mich noch am nächsten Tag. Danke dafür, danke für das bewegende Konzert ! Edda 


Schreib das auf 

„Oma schreibst du ein Buch? “fragen die Enkel. „Schreib das auf Mutter“, höre ich von Tochter und Sohn.

Ich versuche es. Mit dem Schreiben überwinde ich meine Lähmung. Ich will nicht länger Fisch auf dem Trockenen sein, ganz viel Zappelei und keine Orientierung. Es ist meine Chance, den Verlust meines Mannes zu bewältigen und den Austausch mit ihm fortzusetzen.

Als unsere Zeit begann, verblüffte der damals noch Verheiratete mich eines Tages mit der Bemerkung, „schade, daß du kein Mann bist“ .Was war das? Ist er  schwul? Es war nur Ausdruck einer Übereinstimmung im Denken, wie er sie bis dahin nur mit seinem nach Argentinien ausgewanderten Freund erlebt hatte und den er schmerzlich vermisste.

Seine Gedanken offen aussprechen, Gefühle äußern, das lernte mein neunundzwanzigjähriger Peter erst jetzt und schwer. Der Vater früh verstorben, die Mutter wenig interessiert an den Kindern und mehr auf eigenes Vergnügen aus, die älteren Schwestern mit Geschenken bestochen, den Nachkömmling zu akzeptieren, war es die Großmutter, von der Zuwendung kam und an die er sich mit Bewunderung erinnerte, wie sie, schon weit über achtzig Jahre, wiederholt durch die Felder wanderte und sich weitab von Hohenschönhausen bedenkenlos mit dem Motorrad zurückholen ließ. Von dieser Großmutter stammt der Gobelin mit orientalischem Motiv, der seit fast vierzig Jahren unsere Wohnung ziert, ein Geschenk ihres tödlich verunglückten Verlobten, das sie von Zeit zu Zeit aus dem Wäscheschrank nahm, betrachtete und dann sorgfältig in Seidenpapier gehüllt wieder verstaute. Sie hat keinen anderen Mann mehr genommen und der Gobelin war neben einem Koffer voller Bücher Peters späterer Einstand in unseren Haushalt.

Aus dem „schade, dass du kein Mann bist, “ wurde in  wenigen Wochen, „mit dir möchte ich alt werden.“ Eine wunderbare gemeinsame Zeit begann und dieser Wunsch, gemeinsam alt zu werden war immer da.

Er hat es geschafft, ist mit mir alt geworden. Es hätte aber doch länger währen sollen. Dreieinhalb Jahre hat er mit dem verfluchten Krebs gekämpft und ist zuletzt unterlegen.

Aber ich lebe, muss allein weitermachen. Ich sehe, fühle, denke allein und doch nicht allein. Wenn ich eines Tages angekommen bin, wird es mir leicht sein zu folgen. Bis  dahin fühle ich Verantwortung, für uns beide zu leben. Ich werde mit ihm alt. Es ist nicht schade, dass ich kein Mann bin. Ich bin eine ziemlich starke Frau.


 
Abend


Lastend graue Wolkendecke!
Nur von West die Wetterecke
blinzelt gülden
und verliert,
dunkelnd wird sie abgeschnürt.
Nirgends Blau - es bleibt verborgen .
Nacht bricht an, ich hoff auf morgen

   
                     

2004 - Rückkehr in mein verlorenes Land?  


Es ist kalt geworden in Deutschland. Hätte ich nicht schon die Siebzig überschritten, würde ich auswandern.

Wo hat es mir gefallen, was wäre mein schönster Landstrich?

Geht es um Landschaft? Da fiele mir die Entscheidung schwer zwischen der seidenweichen, von Zitrusdüften gesättigten Luft Zyperns, dem durchdringenden Zikadenton in der Weite der durchglühten Sahara, den tiefhängenden  wechselnden Wolken über liladunklem Schottischen Hochland, der in der Ferne im Lösstaub sich verlierenden chinesischen Mauer.

Mir gefallen auch die sanften Berge Thüringens, die herbstfarbenen brandenburgischen Wälder, die mit Adonisröschen besäten Hänge an der Oder, der ruhig fließende Strom.                   

Immer habe ich den starken Zug der Ostsee gespürt. Ihre Schönheit schmerzt, überwältigt mich. Ich mag die See, wenn sie strahlend blau am Ende des vertrauten Birkenweges wie in einem Fenster auftaucht, sie gefällt mir, wenn sie auf schmalem Sandstrand die Füße umspielt. Sie bezaubert mich, wenn sie bei Sturm über die Mole schäumt, wenn mich ein starker Wind mit Gischt übersät und mit scharfem Sand beraspelt. Ich mag die groben Steine auf dem Kliff, die anfliegenden Uferschwalben, die auf Reede liegenden Schiffe.

Landstrich, das sind auch Stadt und Dorf, sind Menschen.                                                                                                              Das Leben hat mich nach Berlin verschlagen. Lange konnte ich hier nicht warm werden, mich nur schwer an die fehlende Beschaulichkeit, die rauen Umgangsformen mancher Leute, das Grau der Stadt gewöhnen.

Was mich heute frösteln lässt, ist die wachsende soziale Kälte in diesem Land.

Ich müsste auswandern. Aber das Alter! Und wohin? Nach Kuba, Stachel im kapitalistischen Fleisch? In meinem Gedächtnis war unsere Reise nach Kuba Anfang der Neunziger Jahre wie Rückkehr in mein verlorenes Land, war heimkommen.                                

 Exotisch ist dieses Land.                                                                                                                                                       Morgens saugen Kolibris den Nektar aus den Blüten am Balkon. Sie stehen mit sirrenden Flügeln in der Luft. In der Hecke hinter dem Hotel baumelt ein Nest am Zweig, nicht größer als ein Fünfzigpfennigstück. Zwei Winzlinge recken das Schnäbelchen und nehmen den Honig vom hummelgroßen in der Luft schwirrenden Altvogel entgegen. Palmen schützen am Strand vor der intensiven Sonne, ein junger Mann verkauft uns eine Kokosnuss, öffnet sie mit der Machete, wir schlürfen die Milch.

In der bunten Märchenwelt am Riff, necken wir einen Kalmar. Er wechselt schlagartig seine Farbe von rot nach grellweiß. Zu einer Tintenwolke, die wir provozieren möchten, entschließt er sich nicht zur schnellen Flucht. Er reckt einen Arm, dünn, dünn, quetscht ihn in eine Spalte, zieht den nächsten heran, schiebt ihn dem ersten nach, Arm folgt auf Arm, zuletzt zerrt er seinen Kopf lang, länger und dann ist er ganz verschwunden.

Abends lachen wir über den dicken Ochsenfrosch, der quer durchs Lokal wandert und sich unter meinem Stuhl niederlässt.

Doch mehr sind es die Menschen und ihre Lebensweise, die uns beeindrucken.

Die Kubaner sind fröhlich, haben immer Vorfahrt auf ihren überladenen Fahrrädern, manche mit drei Personen besetzt. Sie sind stolz auf ihre Schulen und Krankenhäuser, die sie kostenlos nutzen und die im Gegensatz zu anderen Gebäuden in frischen Farben glänzen.

Etlichen Häusern und den Straßen sieht man den Mangel an Baumaterial an, es fehlt an vielem, dafür haben die USA mit Embargo umfassend gesorgt. Aber überall ist Ordnung, nichts liegt herum, jedes ausrangierte Auto wird gestapelt zur möglichen weiteren Verwendung von Einzelteilen.

Was macht es schon, dass die Tür des Hubschraubers, der uns über die Insel trägt, mit einem einfachen Überschlagriegel gesichert ist, der dunkelhäutige Pilot singt.

Kubaner sind schöne Menschen, ob tiefschwarz ob weiß, es spielt keine Rolle, Rassendiskriminierung gibt es nicht. Frauen und Männer leben und arbeiten gleichberechtigt.

Unsere Reiseleiterin glüht, wenn sie vom Freiheitskampf der Kubaner erzählt, führt uns zu revolutionären Plätzen:  „Von diesem Balkon hat Castro zu uns gesprochen!“

Sie beschreibt das schwierige Leben in Kuba. Wir haben es gesehen, die Kaufhäuser sind leer, die Einrichtungen spärlich, aber niemand hungert, keiner muss betteln, jede Familie hat ihr Fahrrad, einen alten Fernsehapparat und vor dem Haus den Schaukelstuhl.

Auf unsere bange Frage, was wird aus Kuba, wenn Fidel nicht mehr da sein wird, antwortet sie:„ Wir gehen weiter auf diesem Weg!“

Verstehst du, warum ich, wäre ich jünger, nach Kuba auswandern würde?                                                                                         So bleibt nur meine Solidarität für Kubas Kinder und die Vision von einer besseren Welt.


Die Kerze brennt

Die dunklen Stunden während der Stromsperren nach dem Kriege wurden bei uns zu Hause mit einer Kerze erhellt. Mein Vater saß mit einem dicken Buch des niederdeutschen Dichters Fritz Reuter in ihrem Lichtkreis. Die gescheitelten Haare ordentlich aus der hohen Stirn gekämmt, mit kräftigen Augenbrauen über dem dunklen Brillenrand, die warmen Augen gesenkt, umfassten seine schmalen Hände das alte prächtige Buch mit Goldprägung auf dem verblichenen Rot des Einbandes. Wir hockten im dämmrigen Zimmer um ihn herum, sahen ihn an und lauschten seiner Stimme, die im vertrauten Platt mal Vergnügliches, mal Ernstes hören ließ.

Langsam brannte die weiße Kerze herunter. Ihre Flamme schien der Stimme zu lauschen, ruhig, unbeweglich, wenn „Ut mine Festungstid“ erzählt wurde, heftig flackernd, gleichsam mit uns lachend bei den „Abendteuer des Entspekter Bräsig“, der immer hochdeutsch sprechen wollte aber plattdeutsch dachte: „In den Fixigkeiten war ich dir über, aber in den Richtigkeiten warst du mir über.“ 

Von Zeit zu Zeit quoll ein Tropfen heißes Wachs über den Rand der Kerze, hinterließ seine Spur, bildete einen rasch erstarrenden kleinen See. Wir hätten wohl gern das abfallendeWachs ein wenig geknetet, aber das war uns nicht erlaubt. Großvater sammelte es sorgfältig in einer Schale und schloss es weg.

Die Kerze brannte nach und nach zu einem winzigen Stumpf herunter, musste ersetzt werden. Das ging so, bis Mutters Vorrat aufgebraucht war.Da sagte sie, es sei an der Zeit, neue Kerzen zu gießen.

Großvater holte das gesammelte Wachs und schüttete es in eine hohe Konservendose, stellte diese auf den kleinen eisernen Ofen, der das Zimmer nur in seinem engsten Umkreis erwärmte. Mit respektvollem Abstand durften wir Kinder zusehen.

Das Wachs erhitzte sich, taute sozusagen auf. Jetzt zog der Großvater einen dicken geflochtenen Baumwollfaden aus der Hosentasche, knüpfte eine Schlaufe hinein. Daran hielt er den Faden senkrecht ins flüssige Wachs, zog ihn nach wenigen Sekunden heraus und sagte: „Das ist ein schöner Docht!“ Nur kurz ließ er den abkühlen und tauchte ihn erneut, zog hoch. Siehe da, es hatte sich eine Millimeter dicke Schicht um den Faden gelegt. Tauchen, warten, senkrecht ziehen, abkühlen und wieder von vorn, viele Male. Dem Faden wuchs ein zunehmend dickerer Leib. Schließlich hielt der Großvater stolz seine Kerze in die Höhe, nicht ganz gleichmäßig, nicht kerzengerade aber doch aufrecht.

„Schön ist sie nicht!“, sagte ich, sie war nicht weiß wie gewohnt, hatte eher eine gelbraunschmuddelige Farbe. Der Großvater brummelte unwillig, dann kramte er umständlich seine Streichhölzer hervor, zündete die Kerze an, sie brannte.

Als wir abends dann wieder dem feinen Humor des Dichters lauschten, fehlte mir nicht länger das vollkommene Weiß einer makellos Geraden, es tat mir leid, dass ich sie nicht schön genannt hatte. Sie leuchtete im dunklen Zimmer.

Wieder lachten wir über Bräsig, wenn er staunte: „Daß du die Nas ins Gesicht behälst!“. Wir fragten nach, wenn Fritz Reuter seine Weisheit Hochdeutsch verkündete:  

„Den nur erwarten Täuschungen auf dieser Erde, der das Glück außer sich selbst sucht, der den Gütern des Lebens einen so hohen Preis setzt, daß er sie auf Kosten seiner Ruhe zu erringen sucht“, aber  verstanden sofort, wenn er plattdeutsch daher kam: „Wat einer will, dat kriggt hei nich und wat hei kriggt, dat will hei nich“.                                                                       

Fast siebzig Jahre später - vor mir brennt ruhig eine kleine Kerze. Von der Wand schaut der Vater aus braungoldenem Rahmen auf mich herab und scheint zu fragen: „Hast du nun bekommen, was du wolltest?“

„Doch hab ich“, denke ich „Ich bin zufrieden und für die mitgelieferte Wärme aus dem Plattdeutschen bin ich Dir dankbar!“                                                                               

                                                                 

Pfingstsonntag 2020 

Auf dem Rostocker Pfingstmarkt gab es  zahlreiche Karussells. Ich bevorzugte die Walzerbahn, blieb bis zum letzten Groschen darin sitzen, ohne etwas anderes zu probieren. Ich genoss die Walzerbahn,  mein Pfingstrad.  

70 Jahre später, Pfingstsonntag , ich rufe meinen kleinen Bruder an, er feiert heute seinen 75. „Ist das schon einmal vorgekommen, dass Du Pfingsten Geburtstag hattest?“, möchte ich wissen. Er lacht und erzählt. „Ja, das weiß ich genau. Als ich noch klein war, wollte ich unbedingt ein Fahrrad haben. Unser Vater sagte, ich bekäme eins, wenn mein Geburtstag und Pfingsten auf einen Tag fallen würden. Mein erstes bekam ich, da war ich acht Jahre alt.“                                                                                                      

 Ich erinnere mich, die Eltern hatten es einer Familie abgekauft, ein viel zu großes grünes Herrenrad. Den Sattel  konnte der Bruder nicht erreichen. Ein Nachbar schenkte ihm einen alten Kindersitz, der vor den eigentlichen direkt auf die Stange montiert wurde. Es dauerte nicht lange bis er damit selbständig herumkurven konnte.  Dem grünen folgte später ein nagelneues rotes Diamantherrenrad, das er liebte, hegte und pflegte. Schlaftrunken  hatte er dessen Klingel bereits in der Geburtstagsnacht gehört, Wunsch, Einbildung? Wahrscheinlich war es aus dem Keller zur Bescherung ins Wohnzimmer geholt worden. Einmal  nur gab es Ärger. Er hatte Streit mit der Mutter. Als er Ihr eine besonders rotzlöffelige Antwort gab, warf sie ein feuchtes  Spültuch nach ihm. Er duckte sich, das Tuch knallte an die Wand .  Er schnappte sein Fahrrad und sagte: „ Ich hau ab!“ „Aber das Fahrrad bleibt hier!“ schrie sie. Ohne das gute Stück blieb er dann doch lieber  zu Hause.                                                                                                                                                       Jetzt  lachen wir  beide, erinnern uns nicht mehr worum der Streit ging, wohl aber, dass wir den fliegenden Lappen noch häufiger erlebten.                                                                                                                                                                                   Und heute   erklärt  er mir : „Immer wenn ich Pfingsten Geburtstag habe, höre ich unseren Vater:„ Du bekommst ein Fahrrad , wenn Dein Geburtstag und Pfingsten auf einen Tag fallen“. Danach hätte ich heute mein fünftes Rad bekommen müssen.“   

 Im Gegensatz zu mir fährt er noch Rad, wenn auch nicht mehr  mit dem roten. Das fünfte ist es auch nicht, vielleicht das dritte.    

 Er ist immer pfleglich mit seinen Pfingsträdern  umgegangen.                                                                                                      Gute Fahrt und herzlichen Glückwunsch kleiner  Bruder.

 

 

1.Mai  2020       Gratulation zur Goldenen

Gestern schrieb ich meinen Freunden: „Zur Verwunderung unserer Kollegen  sind wir am 1.Mai 1970 wie jedes Jahr zur Demonstration gegangen,  obwohl wir am Vortag geheiratet hatten. Heute wäre Goldene Hochzeit gewesen. 

Warum habe ich das nicht für mich behalten?  Meine Kinder haben wie jedes Jahr gratuliert.                                                             Ich aber wollte nach 50 Jahren etwas mehr, keinen öden Carona - Isoliertag sondern ein bisschen Zuspruch. Das hätte schief gehen können, wer kennt nicht die eigene  Hilflosigkeit bei Trauer und Tränen.  Es  kamen reichlich Grüße. Sie bezogen sich auf den Hochzeitstag, auf die Demonstration oder auf beides.                                                                                                                  Ingrid schreibt, es gibt Menschen und Daten im Leben, die brennen sich für immer ein. Und niemand kann sie einem nehmen. Lass Dich umarmen liebe Edda.  Von mir auch, meint Siggi. Algisa antwortet, lass Dir trotz alledem gratulieren. Aus Deinem Buch weiß ich, dass Ihr eine schöne gemeinsame Zeit hattet.  Margit sagt, Edda wie schön und zitiert: „Um eine Meinung zu haben, braucht man nur eine Wirbelsäule, um Haltung zu zeigen Rückgrat.“                                                                                                                                   Karin tröstet, sei nicht traurig, ihr hattet ein schönes ausgefülltes Leben und Du hast Deines jetzt wieder im Griff.  Dass der Körper nicht mehr so mitspielt, ist in unserem Alter Schicksal.                                                                                                                      Renate B. hat bei Theodor Storm für mich gesucht: Das ist das Größte, was dem Menschen gegeben ist, dass es in seiner Macht steht, grenzenlos zu lieben. Amrei hat sich kurz gefasst: Oh Mann, Glückwunsch!                                                                                         Gefühlsbetont reagiert Steffi , Ihr wart ein sehr besonderes Paar. Ich bin froh, Peter gekannt zu haben und zu wissen, wen Du immer so sehr vermisst. Sei dankbar für all die schönen Jahre.                                                                                                                       Es klingelt, meine Nachbarin gratuliert persönlich, sie möchte nicht einfach nur schreiben.                                                           Unsere russische Freundin Lera rührt mich, mein Opa hätte jetzt gesagt: Ach, Hochzeit, diese unnötigen bourgeoisen Überbleibsel, Demo ist viel wichtiger. Ich drücke Dich!

Neuer Morgen!   Wie jedes Jahr  rufe ich Renate an und begrüße sie zum Internationalen Kampftag der Werktätigen, heute mit einem russischen Lied, das unter Sängern  des Ernst Busch Chores verschickt wurde. Sie freut sich, fängt aber an zu weinen, als ich ihr erzähle, vor  50 Jahren war ich mit meinem Peter zur Verwunderung unserer ehemaligen  Kollegen zur Maidemonstration, stolz mit echten Nelken vom Vortag, frisch verheiratet. An diese  Demonstration  erinnert Renate sich nicht, wohl aber an unsere Liebe, wie glücklich wir waren, strahlend über die Flure der Schule schwebten ,meine Röcke immer kürzer, die Ohrringe immer länger wurden. Das stimmt.                                                                                                                                                                   

Ich bestätige, Kollegin  L. hat mich damals beschimpft als „die mit den kürzesten Fummeln“.                                                            Und nun kann Renate wieder lachen und ich mit ihr.



Reise nach Peking

Sonntag,den 23.2.2020


Wenn ich nicht endlich wieder schreibe, verlerne ich es und verzichte damit auf ein Stück Lebensfreude 

Angefangen hatte ich damit 2004, um mit Peter nach seinem Tod weiter zu sprechen und ihm zu erzählen was mich bewegt. Unerwartet erreichte ich später damit auch andere Menschen .

Mit 80 Jahren erlebe ich nicht mehr viel Neues und leeres Gerede war nie mein Ding. Wer redet, sollte etwas sagen oder lieber schweigen.

Aber Schreiben ist ein Vergnügen, darauf möchte ich nicht verzichten.

Es gibt immer noch schöne Gedanken, kleine Überraschungen, die ich für mich festhalten kann.

Erfreut hat mich gestern das Fotoalbum von 1999 mit Bildern von der Reise nach Peking.

Ich bin wieder im Sommerpalast und bewundere die alten Weiblein beim Tai – Chi, staune über die Menschenschlange vor dem Mausoleum auf dem Platz des Himmlischen Friedens, lasse mir im Beihai - Park die flüchtigen Schriftzeichen erklären, die ein Mann mit Wasser aufs Pflaster gepinselt hat : „Gemeinsam ein Lied singen“ und höre wieder die fremdschrillen Töne in der Peking Oper. Ich bestaune die unübersehbare Menge der Fahrräder auf ihrem Parkplatz. Auf dem Naschmarkt kauft sich Peter einen Spieß mit gerösteten Grillen, ich bin skeptisch, koste aber bei ihm und staune, es schmeckt ein bisschen wie der Flossensaum gebratener Schollen. 

Wir fahren zur Chinesischen Mauer, gehen andächtig ein kleines Stück. Auf den großen Stufen eines Wachturms sitzend schwinge ich mich mit der Großen Mauer weit ins Land bis sie sich fern in blauem Dunst verliert.

Lange weilten wir im Konfuzius Tempel. Hohe Schwellen verhindern , dass Geister eindringen können, weil sie schlurfen, die Beine nicht heben können,wohl aber mein Peter. Wie jung er noch war, gebräunt, mit grauem Bart, Schlapphut und kurzen Hosen, Arme angewinkelt, Hände in den Taschen, weiße Socken an schlanken Beinen. Mit einem Schritt überwindet er die Schwelle.

Wie schön sind diese alten Bilder, wie gut sie ausgekramt zu haben.

 

24. März   Der Nächste bitte!

Im Februar sind Geburtstage selten in unserem Chor.  Im März  geht es Schlag auf Schlag.    Vorgestern zeigen sich Renate und Sonja in schmucker Pionierkleidung auf unserer virtuellen Pinnwand mit einem Foto von ihrer Einschulung und einem zweiten von heute zum 70. Geburtstag. Sie sitzen nebeneinander in unserem Chor. Wie schön, ein  Leben lang haben sie sich nie aus den Augen verloren.                                                                                                                                                                                                           Gestern versuche ich immer wieder  Luise zu erreichen, dauernd ist der Anschluss besetzt.  Da haben mit Sicherheit viele Sänger die Leitung blockiert. Endlich kann ich meine Glückwünsche bei der kleinen quirligen  Luise anbringen. Sie wird von uns  als umsichtige Quatiermeisterin sehr geschätzt. Ob bei Reisen oder im Chorlager, sie sorgt für harmonische Zimmebelegung , achtet auf optimale Unterbringung nach unseren gesundheitlichen Möglichkeiten, ich immer schön nah am Fahrstuhl und passt auf, dass jeder mal den Ausbblick auf den Rheinsberger See genießen kann.  Nicht nur den See im Morgenlicht, Wasservögel und Spaziergänger kann man  bewundern. Letzten Herbst führte das bei mir zu Gewissensbissen: Ich konnte mich nicht aufraffen, den wenigen zu folgen, die schon vor dem Frühstück ins kühle Wasser sprangen.                                                                              

 Heute wird Jutta 77 Jahre alt. „Der Nächste bitte“, sagt sie als ich anrufe. Ich muss lachen, so wurde ich noch nie am Telefon begrüßt, dennoch, kein Grund zum wundern. Wir Chorsänger kennen das , an Geburtstagen kommt das Telefon nicht zur Ruhe. Jutta wundert, staunt und freut  sich: „ Edda Du? Damit habe ich gar nicht gerechnet!“ Wir bestaunen ihre stolzen 77, „Priemzahl ? Nein, aber Schnapszahl!“  Ich habe sie in sechs Jahren noch nie angerufen, aber da hat uns auch noch kein Virus lahm gelegt. Wir tauschen unseren Ärger über die Medienflut zu diesem Thema aus, verstehen zwar die Maßnahmen, haben aber den Verdacht, bewusst von  anderem wichtigen Geschehen in der Welt abgelenkt zu werden .                                                                 

 Normalerweise können  Glückwünsche unter den Sängern direkt ausgesprochen werden, auch noch, wenn  die aktive Singerei aufgegeben wird und man als Gast zu den Proben kommt, wie Jutta im letzten Jahr. Dabei hatte sie zuletzt immer ein winziges Hündchen dabei, das still und brav auf ihrem Schoß saß, nie störte, scheinbar zuhört.  Wir sind viele im Chor, ich  bin gespannt auf lustige Gesprächsannahmen und ob ich erneut höre: „Der Nächste bitte!“


 Befördert  zum   8.März 2020

Antje ruft morgens an. Wie jedes Jahr gratuliert meine Tochter mir zum Internationalen Frauentag. Wir reden ein bisschen: Wie geht’s, wie steht´s, was macht der Blutdruck, aber dann fragt sie, ob sie mir etwas vorlesen darf.                                                                   Es ist ein Brief von ihrem obersten Dienstherren, den sie gestern bekam. Er bedankt sich für mehr als 20jährige gewissenhafte, ausgezeichnete Tätigkeit in ihrer Weltweiten Wirtschaftskanzlei als Rechtsanwalt-und Notar-Fachangestellte, gratuliert ihr zur Beförderung und damit verbundener Gehaltserhöhung.Sie ist jetzt SeniorPractice Aassistant.                                                                 Einmal hab ich sie in ihrem Büro  besucht, thronend über  dem Gendarmenmarkt mit Blick auf Französischen Dom  und auf das Schauspielhaus. Wie sie dahin gekommen ist? Sie war doch begeisterte Lehrerin? 

 Als 1987 ihr zweiter Sohn geboren war, entschloss sie sich nach der Babypause vorübergehend im Hort zu arbeiten, um mehr Zeit für ihre zwei kleinen Söhne zu haben. Als sie später wieder als Lehrerin arbeiten wollte, wurde ihr das von den neuen Herren aus bürokratischen Gründen versagt, sie hatte vorübergehend einen Arbeitsvertrag als Horterzieher und nicht als Lehrerin  und wurde nicht wieder zugelassen, weil damals im Vergleich zu Westberlin der Personalschlüssel für Lehrer bei uns bedeutend höher war. Kurzsichtig wurden Lehrerstellen abgebaut, Schulen geschlossen. Die pädagogische Arbeit im Hort verflachte, Pädagogik wurde durch Beaufsichtigung und Bespaßung ersetzt.                                                                                                                               

 Antje war unzufrieden, sie konnte ihre Fähigkeiten nicht mehr ausschöpfen. Wie stolz war sie zum Beispiel, als sie für den Unterricht ihrer Schüler eine Mathemaus erfunden hatte, die das Lernen eileichterte.  Entschlossen beendete sie die unbefriedigende Situation und ließ sich zur Rechtsanwalt –und Notargehilfin umschulen.                                                                   

Ich blieb  damals  Lehrerin, arbeitete als Direktor in einer Polytechnischen Oberschule und hatte gerade meine  Beförderung zum Oberstudienrat erlebt. Wie Antje war auch ich stolz darauf  und wie ihr war mir das damit verbundene höhere Gehalt weniger wichtig. Allerdings dachte ich damals bei der feierlichen Veranstaltung im Haus des Lehrers, die Ernennung sei ein Versehen. Ich war Oberlehrer, darauf hätte Studienrat folgen müssen. Auf der Urkunde stand jedoch Oberstudienrat. Aufgeregt eilte ich zu meiner Schulrätin: „Hier stimmt was nicht, ich bin falsch eingeordnet worden.“ Sie aber gratuliert mir, lacht und sagt:  „Das hat alles seine Richtigkeit, das habe ich ganz bewusst für Sie so durchgesetzt!“                                                                                           

  Ich freue mich mit der Tochter über ihre Beförderung. Ob sie im Zusammenhang mit dem 8. März steht, weiß ich allerdings nicht.

 

5.3.2020      Steffi, ein Geschenk  

Lahm in Kreuz und Knie erscheine ich bei meiner Physiotherapeutin Steffi. Seit langem ist sie mein guter Geist. Zuerst in der Poliklinik und nun schon viele Jahre in der eigenen Praxis hilft sie mir, sucht nach neuen Wegen, probiert immer neues aus, bleibt nicht bei schulmedizinischen Methoden stehen, sondern eignet sich heilpraktische Verfahren der Vorfahren und der ganzen Welt an. Von chinesischer Medizin über indische Heilkunst bis zu den Erfahrungen indianischer Schamanen sucht sie nach immer neuen Möglichkeiten, die Ganzheitlichkeit des Menschen zu erkennen und zu nutzen. Ihre Praxis hängt voller Diplome.                 

  Manchmal sagt sie, dass sie nun genug weiß, keine neuen Lehrgänge mehr besuchen wird. Ich lache, daraus wird seit 40 Jahren nichts, sie ist viel zu neugierig auf Unbekanntes, muss es ausprobieren.                                                                                                       Sie lehrt uns Tai Ji, sucht mit uns den chinesischen Garten auf, um es an diesem besonderen Ort zu üben und seine Wirkungen  spüren zu lassen. Sie öffnet mir ihre heimischen Türen, lädt mich in ihren besonderen Garten mit den harmonisch  geschwungenen Wegen ein und holt sich meinen ganzen Schreibzirkel in ihre Wohnung. Wir genießen von dort oben den freien Blick über die ganze Stadt. Ich muss operiert werden, Steffi besucht mich im Krankenhaus, beobachtet meine physiotherapeutische Behandlung, mischt sich ein, hilft mit, damit ich wieder auf die Beine komme. Sie besucht mich zu Hause, lernt meinen Kater kennen und freut sich, als sie ihn während meiner kleinen Reise ein paar Tage betreuen darf. Auch das läuft ganz besonders ab. Sie bringt ihr Abendbrot mit und bleibt mindestens eine Stunde, damit der Kater Vertrauen fassen kann.                                                                                     

Als sie anfängt schöne Patchwork Decken herzustellen, werde ich bedacht und mit einbezogen. Ihr letztes Geschenk ist eine Tasche , bedruckt mit Noten und Schriftformen, darin ein Fläschchen Chinaöl und ein Mundschutz. „Für alle Fälle“, sagt sie und lacht die von den Medien verbreitete Panik über den Caronavirus weg.                                                                                                   

Gestern schickt sie mir eine Nachricht, hat meine neue Geschichte gelesen und sagt, dass sie mich beim Lesen gehört und meine Freude über das wieder gefundene Schreiben gespürt hat. Dann erkundigt sich genau, wie es meinen lahmen Knochen nach der Behandlung geht.  

Gut liebe Steffi, gut geht es mir !

13.März 2020


Bei Schwester Antje

Da steht sie, Schwester Antje  am Tresen in der Anmeldung zur Arztpraxis und telefoniert mit einem Patienten. Sie nickt mir freundlich zu und ich hoffe, dass sie fertig ist, bis ich an der Reihe bin.   Schade stattdessen nimmt mich, die mir neue, reich tätowierte Schwester auf, „Schätzchen“ lese ich auf ihrem Arm.                                                                                                       

  Ich bin bestellt zur Blutabnahme, muss warten und beobachte währenddessen Schwester Antje. Sie rennt hin und her, macht Termine, eilt ins Arztzimmer, übergibt Rezepte, lächelt.  Ich kenne sie schon lange, sie ist mit Steffi, meiner Physiotherapeutin befreundet. Beide haben mich mit ihrer Fürsorglichkeit beeindruckt. Als meine Hausärztin ihre Praxis aus Altersgründen aufgibt, sorgt Antje für einen reibungslosen Übergang  zur Behandlung  in der Praxis ihrer Ärztin und als ich letztes Jahr aus dem Krankenhaus entlassen werde und sie hört, dass ich mir täglich Heparin gegen Thrombose spritzen muss, zeigt sie mir nicht nur wie das geht, sie kommt nach Hause, lernt mich an, nimmt mir meine Ängstlichkeit.                                                                                 

 Nach kurzer  Wartezeit werde ich ins Behandlungszimmer gerufen.  Wie immer machen meine Venen Probleme, wollen und wollen sich nicht öffnen lassen. Nach mehreren Versuchen hat Schwester Ute eine geringe Menge Blut gezapft, zu wenig für die anstehende Untersuchung. Sie holt sich Hilfe. Schätzchen  kommt, sucht und sucht einen geeigneten Eingang, linker Arm, rechter Arm, ich verkneife mir Schmerzenslaute, sie fuchtelt nervös herum, wird nicht fündig , schleudert sich ein Brillenglas von der Nase und ruft schließlich nach Antje.  Die kommt herein und fragt:  Bin ich die Dritte? Ich antworte:  Mehr Leute habt Ihr heute zum Glück nicht! Sie lacht als ich sage: Die erste Schwester hat die halbe Menge geschafft, die zweite  nichts, nur ihr Brillenglas verloren. Schwester Antje sucht geduldig, beklopft meine Adern und füllt erfolgreich ihre Kanüle. Es folgt ein kleiner Gedankenaustausch über Sinn und Unsinn der Corona Virus Hysterie. Ich erzähle ihr von Steffis Antivirentasche, wir sind uns einig. Steffi sorgt sich stets um andere, wir müssen aufpassen, dass sie sich dabei nicht selbst vergisst.                                                                                        

Steffi und Antje gehören einer Whats App Gruppe an, die sich  „Bella Nonnas“  nennen.  Was heißt das eigentlich?  Zu  Hause finde ich die Übersetzung: „Schöne Großmütter“. Ja das passt, schön sind die beiden, nicht nur äußerlich, sie haben schöne Seelen. Sie leben den Gedanken des Humanismus, so wie er uns in der Schule gelehrt wurde.  Sie  haben sich nicht der immer  häßlicher werdenden   Verrohung und Oberflächlichkeit  vieler Menschen gebeugt. Für sie ist Streben nach Menschlichkeit nicht nur eine Phrase im Grundgesetz.  Für mich  sind die beiden einzigartig und von  Grund auf gut.


2.3.2020 Freude bemerken

 Ermuntert hat mich Renate: Schreibe abends auf, welche kleine Freuden Dir am Tag begegnet sind, verknüpfe sie mit Erinnerungen!       Das teile ich meiner Familie und meinen Freunden per Whats App mit. Das Echo ist ganz unterschiedlich. Von einigen kommt keine Antwort. Es wird von anderen mit Okay zur Kenntnis genommen oder mit Smileys, Blumenvideos, Worten belohnt. Karin und Ingried versprechen, auf meiner Internetseite nachzulesen. Marion und Bärbel entdecken mein Frühlingsgedicht und bedanken sich. Sven schreibt aus dem Urlaub in Norwegen: Schön, dass Du wieder den Schreibstift gefunden hast. Um was geht es diesmal?  Meine Antwort: Kurzgeschichten, die sich aus kleinen Freuden entwickeln, einem Lächeln, einem Gruß. Mein Bruder, der sich nur selten meldet, ruft mich an, lobt mich, weil ich wieder schreibe und erzählt von seinen Frühjahrsarbeiten im Garten. Die Tochter lässt sich die erste neue Geschichte über die Reise nach China vorlesen und vergießt vor Freude ein paar Tränen. Kleine Freuden kann man sich selbst organisieren.Heute Morgen komme ich nach der Wassergymnastik an den Empfang in der Schwimmhalle. Da steht die Chefin, Nadine. Ihr ebenmäßiges Gesicht mit der hohen Stirn leuchtet unter schwarzen Locken. Sie gleicht einem mittelalterlichen schönen Frauenportrait, denke ich. Warum soll ich das für mich behalten? Ich gehe zu ihr und sage: „ Sie sind eine wunderschöne Frau, in Ihrem Gesicht entdecke ich die klaren Züge meiner alten Religionslehrerin.“                                                                                

Sie lächelt:  Danke, es geht mir heute nicht besonders, aber nun ein bisschen besser.         

                     

Auf meinem Balkon

Abend
Lastend graue Wolkendecke!
Nur von West die Wetterecke
blinzelt gülden
und verliert,
dunkelnd wird sie abgeschnürt.
Nirgends Blau - es bleibt verborgen .
Nacht bricht an, ich hoff auf morgen

Kleine Gäste
Gluthitze, oh weh!
Am Fenster seh
ich den Wassernapf.
Ein kleiner Spatz,
tunkt seinen Schnabel
höchst komfortabel
ins labende Wasser.
Hälslein gereckt,
Schwanz ausgestreckt,
kräftig gerüttelt
und Federn geschüttelt.
Schwüle macht krank-
laut schilpt er mir Dank.

Da ist er wieder
heut mit Flattergefieder ?
Zwei,drei,sogar vier sind heran,
raufen,schimpfen,rempeln sich an.
Dann sind sie fort,
leer jetzt der Ort.
Da erscheint eine Taube,
graublau und groß - Ich glaube
sie hat die Spatzen erschreckt.-
Hätte weiß friedliche Sinne geweckt?
Feinsliebe Taube magst bleiben
ich folg Picasso, werd dich nicht vertreiben

Mai 2022






 

Sonnabend den 29,2,2020

Nachbarn

Der Nahgibur aus dem 8. Jahrhundert war der nächstwohnende Bauer, heute wohnt der Nachbar neben, über, unter uns. Mir fällt dabei das schöne Lied von Hermann Prey ein: 

„Der Mond ist aufgegangen, die goldnen Sternlein prangen“ mit dem Schluss: 

Verschon uns Gott mit Strafen und lass uns ruhig schlafen und unsern kranken Nachbarn auch.“

Es gibt aber auch das Schillerwort: 

Es kann der Frömste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.“

Ich hatte immer Glück mit meinen Nachbarn. Auch nach Umzügen blieben wir befreundet, besuchten , schrieben einander, telefonierten. Heute hat sich das vereinfacht, es ist bequem geworden, mit Freunden, Bekannten, Verwandten Kontakt zu halten, Grüße , Worte, Bilder und Videos zu senden ,sogar kurze Sprachnachrichten zu verschicken - „Whats App“ macht`s möglich. 

Die Reaktionen sind ganz unterschiedlich, zwischen Dank, kleinen Bildchen, echten Antworten ist alles denkbar.. Wenn nichts kommt, kann man wenigstens an blauen Häkchen sehen, der andere lebt noch.

Meine Nachbarn aber sind anders. 

Ich schicke Sonntagsgrüße, da klingelt es an der Tür. Die zierliche Frau Wolf mit großer Küchenschürze hat ihre Kochtöpfe verlassen, klingelt, fragt, wie es mir geht, ob alles in Ordnung ist, sie macht sich Sorgen, weil sie mich ein paar Tage nicht gesehen hat. Das beeindruckt und rührt mich.

Neu ist das nicht, seit ich im Krankenhaus war, kümmern sich die beiden, versorgen den Kater, haben mir sogar eine Weile Mittag gekocht, manchmal halten wir ein Schwätzchen . 

Die zwei verbringen viel Zeit auf dem Campingplatz , baden sommers wie winters im See, schicken schöne Landschaftsbilder. 

Ich freue mich , wenn ich Herrn Wolf von Zeit zu Zeit meinen Platz bei der Wassergymnastik im warmen Wasser der Schwimmhalle überlassen kann. Für seine kleine Frau ist das nichts, sie müsste die ganze Zeit auf Zehen balancieren.

So gut war das Verhältnis anfangs nicht, schuld war mein Kater, der bereits kurz nach dem Einzug halsbrecherisch über das Balkongitter auf den Nachbarbalkon geklettert war, uneingeladen. Zurücklocken ließ er sich nicht, ich entschuldigte mich und holte ihn zurück. Mit besonders bestachelten Zaunspitzen setzte ich dem Unverschämten Grenzen.

Jetzt können nebenan kleine befiederte Gäste ungehindert brüten und sich füttern lassen. 

Der Kater beobachtet missmutig das Treiben der Vögel, gibt ärgerliche Töne von sich und lässt die Mundwinkel empört erzittern.

Ich aber freue mich über das muntere Treiben der flatterlichen Pieper. der neuen Nachbarn.


 

 

Dies ist eine kostenlose Homepage erstellt mit hPage.com.