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    Kriminelles

 

 

Nicht Thomas war der Ungläubige

Mittags klingelt das Telefon. „ Winkel“, melde ich mich, „ wer ist am Apparat?“ „Erkennst Du meine Stimme nicht?“  „Nein, wer sind Sie denn?“  Sohn, Bruder, Enkel, Nachbarn, Bekannte, Freunde keiner klingt so jugendlich und klar. „ Nein, wer sind Sie?“ „Aber Edda, Du kennst mich doch, Du warst in zwei Chören."                                                                                                                     

 Ein Sänger also, ich sage „ Stimmt, früher hab ich im Lehrerchor gesungen, jetzt noch  im Ernst- Busch-Chor, “  und wechsle die Anrede, „aber wer bist Du?“  „Ich bin Thomas Lange!“  Ich lache:  „Nee, den  kenne ich, Thomas Lange bist Du nicht, der war sieben Jahre  mein Chorleiter."                                                                                                                                                          

 „Frag mich nach etwas Gemeinsamen“, fordert die Stimme. „ Was haben wir in Riga gemacht?“ will ich wissen. Die Stimme:„ Wir waren da zur Chorolympiade, die meisten per Bus einige mit dem Flugzeug!“  Das stimmt, er muss aus dem Lehrerchor sein.        

 „ Bist Du Bass oder Tenor?“ frage ich. „Ich bin Thomas Lange!“                                                                                                      „Ich glaube Dir nicht!“ „Wer bist Du, was willst Du?“                                                                                                                     

„Hast Du die neue Telefonnummer von Sigrid S.“, fragt er. „ Nein leider nicht, aber sag mir nun, wer bist Du?“ „Thomas Lange!“ Ungehalten reagiere ich:„ Wenn Du mir jetzt nicht die Wahrheit sagst,lege ich  auf"                                                                             Ich gebe Dir meine Frau!“sagt er- „Gabi“, meldet sie sich.  Wessen Frau heißt Gabi? „ Ich bin die Frau von Thomas Lange!“  „ Das glaube ich nicht, ich kenne doch  seine Stimme. „Ich gebe ihn Dir nochmal,“  meint  sie. Kleine Pause, der Hörer knackt. „Thomas Lange“, sagt er  wieder  und jetzt - ich bin sprachlos -, erkenne ich den Stimmklang. Na das ist ein Ding! „Ich dachte, da will mich einer veräppeln!“  Thomas lacht:  „Kaum zu glauben, ich war sogar zum 65. In Deiner Wohnung.“ „ Ich freue mich sehr über Deinen Anruf, damit habe ich nicht gerechnet, Deine Stimme klang so jung, ich dachte, Du bist einer der Chorsänger, die später zu uns gestoßen sind.“                       Wir tauschen uns aus, ein bisschen Buschchor hier, ein bisschen Lehrerchor da, immer wieder unterbrochen vom Lachen über meine Ungläubigkeit. Als ich ihm erzähle, dass ich mich in meiner Weihnachtsgeschichte für den Buschchor auf seine Lebensweisheit über den Zeitstrahl, auf dem wir alle leben, beziehe, freut er sich.  Schließlich legen wir auf.                                                                            Da fällt mir ein, wir haben nicht über das beeindruckende Konzert vor einer Woche  zum 70. Geburtstag des Konzertchores Berliner Pädagogen gesprochen.                                                                                                                                                               Ich wähle .Die Nummer ist noch auf dem Display zu sehen,  und melde mich verschmitzt:  „Hier ist Sigrid  S,!“ „ Haha, Du legst mich nicht rein“, reagiert Thomas und ich sage: „Ich habe vergessen,  Dir für das  Konzert am Wochenende zum 70.Geburtstag des Chores zu danken, es hat mich zu Tränen gerührt!" „Weil Dir die Lieder vertraut waren?“ „Das auch, aber wie und was ihr  gesungen habt  hat mich angefasst, wie auch die vielen Umarmungen der vertrauten Sänger und ihre Freude über  meine Anwesenheit!                             Thomas erzählt mir, dass es ihm wichtig war, unseren früheren  Chorleiter Hans- Eckard zu ehren, Lieblingslieder und Kompositionen von ihm ins Programm zu nehmen.Ich bedanke mich für  den anrührenden Rückblick mit vertrauten Liedern,   für  die politische Aussage  mit Texten von Steineckert über Brecht bis Äsop   und für den bunten mitreißenden Schluss, der zum Mitsingen einlud.          

Stundenlang geht mir der unverhoffte erfrischende Gedankenaustausch  mit Thomas  nicht aus dem Sinn, bewegt mich noch am nächsten Tag.  Danke dafür, danke  für das  bewegende Konzert !                                                                                                                                                                                                              Edda                                                                                                                          im November 2019

 

 

Die Warnung des wilden Wassermanns

Wegen der anhaltenden Bombenangriffe auf die Stadt Rostock wurden wir 1944 in ein kleines Dorf am See evakuiert. Ich war gerade mal fünf Jahre alt. Wir bezogen die kleine Stube im Haus eines Bauern. Ich fürchtete mich vor dem Hofhund, dem krähenden Hahn und der lauten Gänseschar.

Im Sommer hielten wir uns oft am Bootssteg auf und nur wenn die Mutter dabei war, war es mir erlaubt, im flachen Wasser zu baden. Die Töchter des Fischers stießen dazu. Sie sangen gern, kannten viele Lieder, schöne, manche machten mir Angst:

   Es freit ein wilder Wassermann
in der Burg wohl über dem See.
Des Königs Tochter mußt er han,
   die schöne junge Lilofee.

Dann kam der heftige Winter und das  Gewässer fror zu. Nach einigen Tagen durfte ich zum ersten Mal auf den großen erstarrten See.  Bei strahlendem Sonnenschein tummelten sich Kinder und Erwachsene auf dem Eis, rutschten und glitten mit ihren Holzpantinen über den See. In Ufernähe war das Eis milchig weiß und ich schlitterte vergnügt mit den anderen herum. Dann aber lockten mich die Fischerkinder, mit ihnen ans andere Ufer zu laufen. Nach wenigen Metern wurde das Eis durchsichtig, glasklar über dunkler bodenloser Tiefe. Mir stockte der Atem.                                                                                                                                                           Da unten war er, der wilde Wassermann, jetzt würde er auch mich holen, mit seinen kalten nassen Händen zupacken und in sein grausiges Schloss hinunter zerren.Ich schrie vor Angst, meine Mutter hastete heran und trug mich ans Ufer zurück. Nachts schreckte ich vor Entsetzen hoch und konnte lange nicht wieder einschlafen.

Nach Kriegsende wieder in der Stadt, ließ mich die Angst vor dem wilden Wassermann in der unheimlichen Tiefe nicht mehr los. Nie wieder habe ich seitdem einen zugefrorenen See betreten.

Nach mehr als siebzig Jahren spüre ich noch manchmal die alte Furcht.

Sie packt mich, wenn der Wetterdienst vor dem Betreten der Eisflächen auf offenen Gewässern warnt, wenn ich sehe, dass Kinder auf auftürmenden Eisschollen der Ostsee herumturnen, wenn der Vater erzählt, dass er mit seiner Klasse auf einem See war, als plötzlich  mit ohrenbetäubenden Knall das Eis in einem langen Riss aufsprang und sich alle Schüler auf seinen Ruf lang aufs Eis warfen.

Vor Jahren war im Winter das Meer vor Heringsdorf glatt, weiß, zugefroren bis zum Horizont. Nachts drehte der Wind und am Morgen war das Eis in breitem Streifen aufgebrochen. Der unbeschreibliche Gegensatz zwischen blauem Meer und immer noch riesiger weißer Eisfläche blendete das Auge. Staunen ja, aber freuen konnte ich mich über dieses grelle Naturschauspiel nicht - denn da lauerte er wieder, der wilde Wassermann!

Wie nahe er tatsächlich gewesen war, hörte ich später. Bei ablandigem Wind war eine große Eisscholle mit zwei Kindern ins offene Meer abgetrieben. Mit einem Hubschrauber konnten sie gerettet werden.      

 

 

 Der Türmer

Grübelnd lag Carl, mein Urgroßvater, auf dem schmalen Bett in der Turmstube der Marienkirche zu Rostock.. Seit Wochen hatte er außer mit  Ida und Betty, seinen Töchtern, die jeden Tag über die steilen Treppen 85 Meter heraufstiegen, ihm sein Essen zu bringen, mit keinem Menschen mehr gesprochen. Und es war ihm recht.

War ein böser Geist  in sein Weib, seine geliebte Josephine gefahren? Sie hatte plötzlich  an ihm herumgenörgelt, sich über den kargen aber auskömmlichen Lohn beklagt, seinen Broterwerb als unehrlichen Beruf  verunglimpft und sich über das fehlende Ansehen beklagt. Ausgeschlossen sei sie, gehöre keiner Gilde an, sei so unehrenwert wie das Weib des Müllers, des Schäfers oder des Barbiers.

Dahinter konnte nur die Kapitänswitwe stecken, die vor Wochen in das große Haus am Markt gezogen war und mit Gehabe und Standesdünkel die Weiber neidisch machte. Nie betrat sie an den Markttagen allein den großen Platz, immer folgte ihr die Köchin mit einem Korb und kaufte, worauf die Witwe deutete. An den Sonntagen nahm sie nicht in den Kirchenbänken Platz, sondern ließ sich auf einem kunstvoll geschnitzten ihr vorbehaltenen Stuhl nieder.

Carl erhob sich, es war Zeit für seinen Rundgang. Er betrat die Glockenstube mit den drei Glocken, sah hinauf in die Turmspitze, die nur über  steile Leitern erreichbar war und in der Dohlen und Turmfalken hausten. Er kletterte hinauf. Mitternacht, die Stundenglocke dröhnte.  Er sah in die Runde, hatte den Blick frei auf die Stadtmauer mit den sieben Toren. Keine Bewegung, Stille auf den Straßen, in den Häusern. Am Hafen heulte  ein einsamer Hund, hörte nicht auf. Aber warum?

Carl drehte sich um,  neben dem schwachen  Licht des Mondes stand jetzt ein anderer fremder Schein über der Stadt.

Er spähte genauer:  Feuer! Das Ständehaus? Das  Rathaus?  Es war das Haus der Kapitänswitwe, es brannte! Noch war alles ruhig. Carl zögerte eine Weile, dann stürzte er zur Glockenstube und begann, die Wächterglocke zu  läuten.

                                        

 

Tierische Fürsorge

 

In Küstrin hinter´m Deich

 glänzt Froschlaich  im Teich

nah` der Oder

Da wo der Kahn einst versunken

laichen Unken

im Moder.

Kommt `ne Kröte vorbei,

sagt, dass Geburtshelfer sie sei,

trägt die Brut an den Beinen.

Lautes Gequak und Geschrei !

 

Spricht der Karpfen: Lächerlich,

Millionen Eier lege ich.

Die meisten werden gefressen ?

Ach das stört weiter  nicht,

so enden wir alle,

wenn heut nicht dann morgen als Silvestergericht.

 

 

Bestrafte Neugier

Neugier ist das Streben nach Neuem, Unbekannten. Das klingt sehr positiv und steckt Forscherdrang  dahinter, trifft es auf Leute wie Einstein zu, der von sich sagte, er habe keine besondere Begabung, er sei nur leidenschaftlich neugierig.

Farbe, Bewegung, Gerüche, Geräusche regen uns an oder auch ein unerwarteter Ausblick. Meine Katzen sehen mich oft kopfüber an und ich staune. Wir sollten die Welt vielleicht manchmal durch die Beine anschauen.

Der Neugier steht Gleichgültigkeit entgegen. Sie lähmt, erzeugt Desinteresse und Langeweile.

Neugier, darin steckt auch etwas Unangenehmes. Wörter wie Habgier, Raffgier, Geldgier, Mord- und Blutgier bezeugen das.

Einmal bin ich Opfer meiner eigenen Neugier - oder Habgier?-  geworden. Ich war fünfzehn Jahre alt und hatte mir zu Weihnachten ein eigenes Fahrrad gewünscht. Werde ich es bekommen? Ist der Wunsch nicht zu unbescheiden? Werden die Eltern so viel Geld ausgeben? Wer kauft denn im Winter ein Fahrrad? Mit diesen Gedanken schlief ich am Abend ein und am anderen Morgen wachte ich damit auf.

 Da lag eines Tages der alljährliche Weihnachtsbrief an meine Tante auf dem Tisch. Das war meine Gelegenheit, mit Sicherheit  war darin das Geheimnis gelüftet. Die Eltern waren ausgegangen. Ich machte Wasser heiß, hielt den Umschlag über den abströmenden  Dampf, siehe da,  er ließ sich mühelos öffnen. Und ich las: Für Edda haben wir ein Fahrrad gekauft.

Wenn Du nun denkst, ich hätte mich gefreut, hast Du Dich geirrt. Mir wurde heiß und kalt,  sofort quälte mich jetzt ein anderer Gedanke: Wie schaffe ich es, mich bei der Bescherung so zu benehmen, dass nicht heraus kommt, ich habe spioniert, denn damit hätte ich den Eltern die Freude genommen.

Nie wieder habe ich nach Geschenken geschnüffelt. Die Neugier aber ist geblieben, Neugier auf neue Personen,  Erlebnisse und Geschichten.

 

 

Verdirbt Politik den Charakter?

Bevor diese Frage beantwortet werden kann, muss geklärt werden, was ist Charakter? Das Wort aus dem Griechischen bedeutet wörtlich, das Eingeprägte.

   Charakter ist die typische Eigenart, die innere Haltung eines Menschen, die sich im sittlichen Handeln ausdrückt. Neben angeborenen Anlagen prägen ihn in früher Kindheit Vorbild und Erziehung. Später kann der Mensch sich den Verhältnissen noch anpassen, seinen Charakter behält er.

   Bevor ich 1975 in Berlin–Friedrichshain eine neue Schule eröffnete, hospitierte ich in einer schwierigen 9. Klasse, die ich aufnehmen sollte. Die Schüler schockierten mich. Obwohl sie wussten, ihre zukünftige Direktorin will sich einen Überblick verschaffen, benahmen sie sich, als müssten sie alle Unarten, die sie draufhatten an ihrer Lehrerin auslassen, waren laut und unhöflich. Nur Birgit warf mir einen um Verzeihung bittenden Blick zu, lächelte mich verlegen an. Sie wurde an der neuen Schule später zur Vorsitzenden der FDJ - Grundorganisation gewählt und für mich eine wichtige Verbündete. Klug, hilfsbereit, immer freundlich und bescheiden, suchte sie mir zu helfen, ein Schulklima zu entwickeln, dass alle einband und mitnahm. In ihrem Wohngebiet wurde sie für ihre progressive Haltung angefeindet und als rote Kommunistensau beschimpft. Ich tröstete sie, „laß Dich nicht beirren, als graue Maus kann man leichter leben aber rote Kommunistin ist ein Ehrenname. Das Anhängsel Sau beschimpft die Absender, Dich nicht.“

    Ich hatte Birgit als Einziger das Recht eingeräumt, mich jederzeit im Direktorenzimmer aufzusuchen. Nie hat sie dieses Recht missbraucht, aber wenn es Probleme gab, war sie bei mir. Eine Sitte behielt sie jahrelang bei. Am 21. Dezember tauchte sie auf, gratulierte zum Geburtstag und wir lachten beide vergnügt, wenn ich antwortete, „danke gleichfalls“.  Es hat mir gut getan, sie nach 1990 in der Bezirksverordnetenversammlung Pankow als Vertreterin der PDS wiederzutreffen, freundlich, bescheiden, ungewendet.

   Die Pionierleiterin an unserer Schule war Irina. Wichtig, vordergründig fegte sie durch die Schule, den roten Zopf fahnengleich schwenkend. Es verging keine Konferenz, auf der sie nicht, ohne wirklich etwas zu sagen, geredet hätte. Wenn sie überhaupt etwas bewegt haben sollte, ist es mir entschwunden. Ich erinnere mich nur noch, wie sie über Birgit sagte, „ die darf unangemeldet zu  Dir? Das darf ja nicht einmal ich.“

   Auch Irina treffe ich in den Neunziger Jahren wieder. Sie stellt sich in der PDS Hauptversammlung als Kandidatin für die Bezirksverordnetenversammlung im östlichsten Berliner Stadtbezirk vor und vergisst in ihrem Lebenslauf die Pionierleiterzeit. Auf meinen erstaunten Blick flüstert sie mir zu, das muss man ja nicht hervorheben. Sie wird gewählt und ist für Frauenfragen zuständig. Und nun ist sie endlich bedeutsam. Kein Thema bleibt von ihrem emanzipatorischen Gewäsch verschont. Absoluter Höhepunkt wird ihr Aufbegehren, weil sie nicht vor der Abstimmung über eine neue Ampel gehört wurde. Der Fraktionsvorsitzende will beschwichtigen, das sei nicht ihr Bereich. Empört tritt sie den wortschwalligen Beweis an, eine neue Ampel sei eine frauenrelevante Frage. Erspart mir die verschrobene Nachweiskette. In der Pause nehme ich sie beiseite und versuche ihr zu erklären, dass sie mit solcherlei Übertreibungen Schaden anrichtet. Sie lächelt dünn und bedankt sich für den Hinweis. Später merke ich, sie hat nichts verstanden aber übel genommen.

   Als der Genosse Peter W. schwer erkrankt, immer noch sein Mandat wahrnimmt, stichelt sie hinter seinem Rücken, warum er denn weitermacht,er kann doch kaum noch etwas ausrichten. Empört erkläre ich der Menschenfreundin, dass diese Aufgabe den Todkranken aufrecht erhält.

    Verdirbt Politik den Charakter?

Ich glaube nicht, der Mensch hat seinen und behält ihn. Manchmal allerdings gerät er in eine Position, die seinen guten Charakter beweist. Und wenn er den nicht hat?  Dann nutzt er die Gelegenheit und verstärkt seine miesen Eigenschaften.

 

 

Der Blender

Er ist allein da, ich frage, ob ich mich dazu setzen darf, kein Tisch mehr frei. Wir unterhalten uns über das russische Programm, die ausgestellten Bilder, die Kulturangebote im Allgemeinen, über Lesevorlieben. Strittmatter ist mein Thema. Gleich lädt er mich zur Lesung eines Strittmatter-Sohnes ein.

Er hat sich vorgestellt als S.Gonzalez. Woher der spanische Name? Er kommt aus Kuba, fliegt Morgen wieder hin und besucht seine Verwandten, mindestens drei Mal jedes Jahr ist er dort. Ich freue mich, erinnere mich an unsere Reise Mitte der Neunziger Jahre, das war damals wie nach Hause kommen in unser untergegangenes Ländchen. Wir tauschen die Telefonnummern aus. Kaum bin ich in meiner Wohnung, erkundigt er sich, ob ich gut angekommen bin und vor seinem Abflug am folgenden Tag erinnert er an die Strittmatter- Lesung.

Drei Wochen später, lebhaftes hin und her am Telefon. Wir verabreden uns für die Gärten der Welt. Regen, es muss umgedacht werden. Gut, ich bin einverstanden, mir Bilder und Videoaufnahmen von seiner Kubareise anzusehen. Er holt mich vom Bahnhof ab. Nun folgt Enttäuschung auf Enttäuschung.

Er ist kleiner als gedacht, - na ja, das ist eine Äußerlichkeit.

 Er macht knackend schniefende Geräusche mit Nase und Hals, -  er ist sicher verlegen,  das muss kein Tick sein.

Wir betreten die Wohnung, es riecht säuerlich, - er wird vergessen haben zu lüften. Unter dem Vorwand, den Balkon betreten zu dürfen, öffne ich die Tür so weit es geht. Der Geruch vergeht nicht.

Die Wohnung wirkt spießig, - er wird ein bisschen ungeschickt bei der Gestaltung des Zimmers und bei der Auswahl seiner Bilder sein.

 Das Kubavideo wird gezeigt, unscharfes Hotel, verwischter Pool, verzerrte Palmen, - das Bild wird sicher noch besser. Dann folgen verwackelte Aufnahmen von endlosen Tänzen des abendlichen Animierprogramms in der Bar. Nach einiger Zeit frage ich, ob es auch Aufnahmen von Meer, Strand, Land und Leuten gibt. Ja, von der Urlaubsreise im Vorjahr, - hat er nicht gesagt, er besuche jedes Jahr mehrmals seine Verwandten? Es folgt: Blick von der Terrasse, man ahnt das Meer, Bilder aus Santiago, mühsam erkenne ich einige Plätze, wieder ist alles unscharf und dazu immer dieser Geruch! Jetzt werden auch noch Fotos herausgekramt, er erklärt jedes Bild und hat sich dazu neben mich gesetzt und nun merke ich, der Geruch steckt nicht nur in der Wohnung, üble Wolken gehen von ihm aus. Ich denke nur noch: Wie komme ich hier weg, ohne unhöflich zu sein? Ich erfahre, dass er früher mal in Kuba gearbeitet hat, - hat er nicht erzählt, er käme aus Kuba? Da wird er wohl eine Kubanerin geheiratet und ihren klangvollen Namen angenommen haben. Die Frau hat sich längst verflüchtigt, meine Idee von Kubaner auch.

Unter einem Vorwand fliehe ich. Zu Hause rufe ich meine Freundin Carla an und lasse meinen Frust ab: „Ein Aufschneider, ein Blender, ein Stinker“! Carla lacht und rät mir, die Nase ins Parfümfläschchen zu stecken. Wenn ich ähnliches vorhabe, soll ich sie in Zukunft vorher anrufen, damit sie mich befreien kann

 

 


Fiegenplage

 

Fliegen werden ohne Frage

in  Massen zur Insektenplage,

besiedeln Flur samt Hutablage.

Summen, brummen ohne Gage.

Statt Schlaf in Bauch-und Rückenlage

bekrabbeln Fliegen die Visage.

Selbst in der Biofleischerei

gedeiht manch dralles Fliegenei.

Die Zeitung bringt `ne  Reportage

zur Fliegenexplosionsgrundlage,

rät: Ausrottung und Demontage!

Tierfreunde bringt`s sofort in Rage,

sammeln Stimmen ein paar Tage:

Schützt Fliegen, die in Tiernotlage!

Millionenfach sind in der Welt

Insektenarten aufgestellt.

Da der Mensch in Unterzahl,

hat er die Qual.

Doch nun ändert sich das Wetter;  

                          ohne Fliegen ist es netter!                           

 

 

In der Schlange

Eine kleine Pause kann nicht schaden, der Weg zum Teich über die Wiese scheint weiter als im letzten Jahr, denkt der kleine Wasserfrosch und hockt sich neben die gelbe Butterblume. Als er den drohenden Schatten bemerkt, ist es fast  zu spät, ein Storch droht zuzuschnappen. Ohne zu zögern springt der Frosch mit einem Satz in ein dunkles Loch - das geöffnete Maul einer Ringelnatter. Die schluckt, schnellt hoch und schlängelt rasch davon. Der Storch hat das Nachsehen.  

Unser Frosch aber rutscht, glitschig wie er ist, durch den Schlund in den engen dunklen Wanst der Schlange. Er braucht ein Weilchen bis er  sich berappelt. Was ist mit  ihm passiert? Er spürt dunkle  Enge, dazu Ekel vor dem sauren Geruch, der ihn umgibt.

Die Luft wird knapp, seine Haut verklebt sich, juckt. Er kann sich nicht einmal kratzen, fühlt  sich mehr und mehr bedrängt. Vorsichtig  regt er sich, versucht sich zu rekeln, so lässt sich das Quetschen ein wenig leichter ertragen. Seine Beine bekommen Spielraum. Mit den Krallen der Vorderbeine bohrt er sich in die Wand. Mit den Hinterbeinen zappelt er,  strampelt, verschafft sich ein wenig  Raum und bringt sein ganzes Gefängnis in Wallung. Hin, her und seitwärts bewegt sich die enge Welt, dass ihm schwindelig wird. Das ist zu viel, mit allen vieren trommelt er gegen das Hindernis, stößt  sich ab, fuchtelt, kneift  und zwackt in die Wände.  Die Schlange kommt nicht zur Ruhe,  sie würgt und der Frosch schießt rückwärts zurück ans Tageslicht. Mit einem Satz ist er auf und davon, erreicht den Teich.

Verstört  liegt die Schlange. In aller Ruhe schreitet der Storch heran, packt die Benommene und fliegt mit ihr davon.

Und der Frosch? Der sitzt auf einem Seerosenblatt prahlt und quakt laut und vernehmlich in die Runde, wie er der als großer Held die Schlange  besiegt hat. Wären leisere Töne nicht angebracht?

 

 

Verrückte Begegnung

In meinem Mietshaus wohne ich ganz oben, kann bis zum Horizont sehen und den Sonnenuntergang bestaunen, niemand trampelt  mir auf dem Kopf herum. Jedenfalls war das so bis gestern. In der Nacht wache ich auf. Schaben, schlurfen, kratzen über meinem Kopf. Was ist das? Wer macht sich da unter dem Dach auf dem Boden zu schaffen? Einbrecher ? Ratten? Ein verirrter Vogel? Da rumpelt es in meinem Bad. Aha, das ist mein Kater, der mal wieder mitten in der Nacht rumort. Beruhigt schlafe ich wieder ein.

Am Morgen komme ich dazu, wie sich im Bad über dem Spiegel die Abzugsklappe hebt. Eine dünne lange schwarze Pfote schiebt sich durch, eine zweite folgt, dann ein Kopf. Ein wolliges Pelzchen bleibt stecken. Das war zu erwarten, die Klappe lässt sich nur mit einem dicken Schraubenzieher aufhebeln. Zwei  Augen starren mich aus schwarzer Maske an, ein Waschbär. Ich bin fassungslos , versteinert. Mein Kater, dieser Feigling räumt das Feld, schießt mir durch die Beine, flüchtet. Rasch schließe ich die Tür von außen.

Was soll ich bloß machen? Der Enkel muss helfen. „Johannes bist Du noch zu Hause? Bitte komm sofort zu mir. In meinem Bad ist ein Waschbär eingeklemmt. Ich habe Angst ihn anzufassen, kann ihn nicht da lassen, wie soll ich ihn befreien, wie ihn fangen?“  Mach Dir keine Sorgen Omi, ich bin in einer viertel Stunde da!“

 Ich lausche, plötzlich Getöse, klirren, rumpeln! Der  Kerl scheint mitsamt der Klappe ins Waschbecken gestürzt zu sein.

Stille, dann  nach einem Weilchen schmatzende Geräusche. Das Katzenfutter!

Vorsichtig öffne ich die Tür, der ungebetene Gast ist in die Badewanne gesprungen, hat den Wasserhahn  aufgedreht und wäscht sich die Hände. Als er mich sieht, hangelt er sich aus der Wanne, rutscht ab. Beim zweiten Versuch klappt es, er flüchtet, huscht in die Kammer, verschwindet. Aus dem Schuhregal  kommen hohe gurrende Töne.

Johannes ist immer noch nicht da  und so rufe ich meine Schwägerin in Rostock an, schildere ihr das Malheur. „ Ruf den Tierschutz an!“, rät sie mir.

„Ich glaube nicht, dass die heute kommen.“ „ Wieso denn nicht?“ Heute ist 1.April.

 

 

Trauerspiel

Zwei Aale namens Glatt und Glitsch,

die war`n im Netz gefangen.

Die Wasserfrösche Patt und Pitsch

quakten laut und sangen,

der Fischer wird euch braten,

die ihr ins Netz geraten!

Sie riefen Wühl und Maus heran;

die fingen flugs zu lösen an

mit Zähnen und mit Pfoten

des Netzes böse Knoten.

Die Frösche warnten, sputet euch,

verlasst den ungastlichen Teich!

Glatt und Glitsch, die hörten nicht,

kamen trödelnd nur voran.

Sie spielten, wanden, aalten sich

und übersah´n  -  den Kormoran.

 

 

Kaspertheater

Der Kasper, hervorgegangen aus dem Hans Wurst, ist der komische Held im Kaspertheater. Ganz nach Bedarf ist er Spaßvogel, Clown, Dummkopf oder Narr. Das größte mir bekannte Kaspertheater ist die Bürokratie in deutschen Landen

Vor 15 Jahren reichte ich zur Kontenklärung für die Rente einen dicken Umschlag mit Papieren ein, die Zeugnis ablegten für meine Lebensarbeit und dazu meine Zusatzversicherungsurkunde als Pädagoge. Der Bescheid kam. Mein  Protest gegen die Ungleichbehandlung von Ost zu West und die nicht anerkannte Zusatzvergütung erfolgte postwendend.                                                                                                                                      

18 Jahre später, das ND macht auf die veränderte Gesetzeslage aufmerksam und veröffentlicht einen Vordruck für uns Rentner zur Anerkennung der Zusatzversicherung als Pädagoge. Ich stelle den Antrag.                                                                                    Nach einem Jahr kommt die erste Antwort: Sämtliche Unterlagen über meine Lebensarbeit  und die Urkunde zur Zusatzversicherung sind erneut einzuschicken. Warum eigentlich? Egal, der dicke Umschlag geht ab.                                                                                  Meine Unterlagen sind bald zurück, nach Wochen kommt ein neuer Rentenbescheid, bestehend aus 16 beidseitig beschriebenen Blättern. Das wichtigste steht auf Seite 1, den folgenden Zahlenwust mag und kann ich nicht nachvollziehen, Rentenerhöhung um 17 Euro und eine Nachzahlung für sieben Jahre. Ich will mich gerade freuen, da lese ich: Die Nachzahlung wird vorläufig nicht ausgezahlt. Aha, denke ich, kein Geld in der Kasse. Daran liegt es nicht, wie sich heraus stellt.                           

Vier Wochen später, neuer Rentenbescheid: Die Witwenrente wird neu berechnet, es ist eine Überzahlung von 290 Euro entstanden, die wird bei der Nachzahlung einbehalten. Es bleibt bei der Altersrente ein Plus für mich 4 Euro                                      

Die Krankenkasse teilt mir mit, was sie von meinem Kuchen möchte, 12 Euro. Davon übernimmt die Rentenversicherung die Hälfte.                                                                         

Drei Wochen später: Erneut ein Rentenbescheid, dieses Mal mit zwei gleich lautenden Exemplaren in zwei Briefen, die Neuberechnung ergibt jetzt ein Plus für mich von 1,14 Euro. Wann die Nachzahlung kommt ist nicht mitgeteilt.                                                                                  

Wenn ich das Zahlenchaos richtig deute, werde ich künftig monatlich 86 Cent weniger im Portemonnaie haben. Ob die Berechnungen überhaupt stimmen weiß ich nicht. Mal sehen, was konkret auf dem Bankauszug erscheinen wird. Soll ich einen Rentenberater aufsuchen? Vielleicht nimmt er mir den Rest, der noch nicht angekommenen Nachzahlung?

Nun frage ich dich, wer ist hier Kasper, wer ist Zuschauer und was soll ich aus dieser Posse lernen?

 

 

Belästigung

Jeden Morgen lese ich meine Post, die mir über das Internet zufliegt. Aber was ist das? Über den oberen Rand des Bildschirms eilt eine Fliege. Sie lässt sich nicht verscheuchen, ist die geschmacklose elektronische Werbung einer Fluggesellschaft.                                   Seit Tagen ärgern mich winzige Fruchtfliegen, die sich an meinem Obstkorb zu schaffen machen, nachts die Zimmerdecke bepunkten, morgens kess herumfliegen und mich niesen lassen. All meinen Jagdversuchen widersetzen sie sich. Mit einem Handtuch wed´le ich sie zum offenen Fenster: Raus ihr Biester, raus raus! Schwer atmend falle ich auf einen Stuhl und … eine nach der anderen ist wieder da, flitzt herum, sucht sich erneut ein Plätzchen. Nun versuche ich es mit Durchzug, mich stört der sehr, nicht aber diese Fliegen. Wieder sitzen sie frech auf Schranktüren und an den Wänden.

Jetzt werde ich radikal, kaufe mir Köderstreifen mit Blumenmotiv und klebe die an die Fenster. Mich stört diese Art der Verzierung, die Fliegen jedoch nicht, munter krabbeln sie über die Scheiben. Eine Fliegenklatsche muss her. Nachdem ich meine Fenster mit drei kleinen zerquetschten Quälgeistern verziert und die Scheiben wieder blank geputzt habe, kommen die anderen siebenunddreißig zurück, tanzen um die Lampe und mir auf der Nase.

Am besten ich schreibe mir jetzt den Frust von der Seele, öffne das Schreibprogramm, der E-Mail Kasten bleibt zu.

Ist nun Ruhe? Die elektronische blöde Fluggesellschaftsfliege sehe ich nicht, aber schon taumelt eine ganz reale freche Fruchtfliegenbelästigung quer über den leuchtenden Bildschirm.

 

 

Die Kuh auf dem Eis

„Na los“, sagte der Großvater bei Problemen, „holen wir die Kuh vom Eis!“

Kuh auf dem Eis? Natürlich, da muss man sie herunterholen, da gehört sie nicht hin, auch wenn neuerdings eine Versicherung mit Schlittschuh laufenden Kühen für sich wirbt.

Meine Kuh auf dem Eis war die Kristallkugel auf dem Schreibtisch.

Lesend, von meinen schlafenden Katzen eingerahmt, sitze ich auf dem Sofa. Ein merkwürdiger Geruch steigt mir in die Nase. Raucht der junge Mann unter mir auf seiner Terrasse? Ärgerlich stehe ich auf, um meine Balkontür zu schließen, gucke aber vorher über die Brüstung. Nanu, da ist ja keiner! Ich öffne die Wohnungstür, hier rieche ich nichts, auch der herausgeklingelte Nachbar hat nichts bemerkt.

Im Zimmer ist der unangenehme Duft noch stärker geworden. Kokelt hier etwas?

Mit der Nase beschnuppere ich mein Telefon, nichts. Wie ein Hund schnüffle ich an Computer, Drucker, Faxgerät, an Fernseher, Radio, Kaffeemaschine und Wasserkocher, nichts. Der Herd ist kalt und dunkel, die Waschmaschine im Bad steht still in der Ecke, und auch der Lüfter tut brav seine Schuldigkeit. Schmort hier etwa eine Leitung in der Wand?

Ich gehe zurück ins Zimmer, drehe mich langsam im Kreis und dann sehe ich es.

Die Kristallkugel auf dem Schreibtisch wird von den senkrechten Strahlen der Abendsonne durchstrahlt, eine dünne kerzengerade Rauchwolke steigt vom dahinter stehenden Briefständer auf. Für den Bruchteil einer Sekunde erstarre ich, dann geht alles ganz schnell. Ich reiße Papiere hoch, eine Stichflamme schießt heraus - ins Waschbecken damit - Wasser darüber- das Feuer ist aus!

Zurück bleibt ein Brief mit kreisrund heraus gebranntem Loch, Asche und Gestank.                                                                        Was, wenn ich nicht zu Hause gewesen wäre? Die Kristallkugel wird ins dunkle Regal verbannt.                                                                                                      

Die Katzen sind erwacht, schauen mich verwundert an.

Ich sage: „Da haben wir noch mal Glück gehabt, d i e Kuh ist vom Eis!“

 

 

Pilze

Martha trat aus dem Wald, mit steifem Arm hielt sie einen Korb. Die Sonne gleiste nicht mehr und ihr Haus warf einen langen Schatten. Sie schaute sich um, niemand war zu sehen. Dann öffnete sie die Tür und schloss sofort hinter sich zu.

Vorsichtig setzte sie den Korb ab und sah sich um. Entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit standen auf dem Tisch zwei gebrauchte Tassen und über den Resten des Frühstücks summte hartnäckig eine Fliege.

Nachdem sie sich ausgiebig die Hände gewaschen hatte, ließ sich in den Sessel am Fenster fallen und sah in die wachsende Dunkelheit.

War es wirklich erst heute Morgen als sie sich mit Bernd über den Wechsel von Licht und Schatten unter den ziehenden Wolken gefreut hatte?

Sie war dem stattlichen Mann vor Jahren in einem Malzirkel begegnet und hatte mit Erstaunen ihre Übereinstimmung nicht nur bei der Betrachtung von Bildern, sondern auch die Ähnlichkeit ihrer Gedanken über Gott und die Welt wahrgenommen. Die Liebe, die sich entwickelte, überrollte sie.

Er war verheiratet und blieb Gefangener in seiner Ehe. Sie nahm schließlich auch einen Mann, bekam drei Söhne und konnte dennoch Bernd nie vergessen. Als sie sich von ihrem Mann getrennt hatte, flammte die alte Liebe wieder auf.

Sie kannte seine Frau, eine hochintelligente, kühle Schönheit. Begegnete sie ihr, war sie freundlich. Marta sah aber den ganzen Jammer dieser Ehe, den unglücklichen Bernd, der sich aus Pflichtbewusstsein, nicht trennen wollte.

Sie hatte nie etwas von Bernd gefordert, genoss in raren Stunden seine Anwesenheit.

Manchmal überkamen sie leise Zweifel.

War er doch nicht der Starke, den sie bewunderte? War er wirklich der Uneigennützige, den sie liebte? Ach was, sie liebte ihn so wie er war!

Ihre Freunde ahnten nichts, verstanden nicht, warum sie keine neue Beziehung einging.

Und die Söhne hatten sie erst gestern geneckt, warum sie denn den Rainer nicht nehme, der verschlinge sie mit den Augen und würde gut zu ihr passen.

Natürlich, der feinsinnige Rainer gefiel ihr auch. Aber da ist Bernd, der sie liebt und der todunglücklich wäre, ginge sie eine neue Beziehung ein. Sie wüsste nicht, wie sie ihm solche Neuigkeit auch nur andeuten solle. Morgen  schon wird er wieder bei ihr sein.

Todunglücklich? Ein eigenartiges  Lächeln gleitet ihr übers Gesicht.

Sie erhebt sich, geht mit zögerndem Schritt in die Küche, schüttet den Korb aus, putzt und schneidet die Pilze, zuletzt den grünlich weißen mit der Knolle, vor dem sie schon als Kind von der Mutter gewarnt wurde und der erst nach Stunden seine Wirkung entfaltet.

Dann beseitigt sie sorgfältig alle Pilzreste, spült lange den Korb, wäscht das Messer ab, reinigt sich gründlich die Hände und kocht eine duftende Pilzsuppe.  

 

 

Wilde Schweine

Etwas ist anders, dachte sie, als sie nachts durch den Park nach Hause ging. Heute Morgen noch hatte sie sich über das rote Herbstlaub und die leuchtend weißen Tintlinge im Grün der Wiese gefreut, die ihr mit ihrem Duft bis zur U-Bahnstation gefolgt waren. Interessiert sah sie sich auf dem Bildschirm in der Bahn den Bericht über eine stundenlange Unterbrechung des S-Bahnverkehrs an. Mitten in der Stadt waren drei Wildschweine beim Überqueren der Gleise getötet worden. Die haben Hunger, sagte eine Frau. Nee, die sind zu faul, sich im Wald was zu suchen, sagte ein Mann.

Aber nun war sie auf dem Heimweg. Es dunkelte, alle Umrisse verwischten sich, Laternen gab es hier nicht, nur den fernen verblassten Schein der Straße. Etwas ist anders, was nur? Der Pilzduft war noch spürbar aber ein anderer, ein strengerer Geruch hatte sich darüber gelegt. Woher kannte sie diesen Geruch? Sie schaute sich um, kein Mensch weit und breit, niemand zu sehen. Noch nie war ihr die Einsamkeit dieser Gegend so bewusst geworden, sie ging rascher. Der fremde Geruch wurde strenger, immer noch konnte sie ihn nicht einordnen.

Und dann sah sie es, die Pilze waren nicht mehr da, alles geplündert, noch hing ihr Duft in der Luft aber sie waren fort, die Wiese mit braunen Wunden übersät, aufgerissen über große Flächen, selbst der Weg hatte Schaden genommen. Und dann fiel es ihr ein: Tierpark, richtig Wildschweine, Wildschweine riechen so. Sie beschleunigte ihren Schritt. Hatte sie nicht gehört, dass vergangenen Herbst große Rotten in der Stadt umhergestreift waren und ein wütender Keiler auf dem Friedhof den Gärtner angegriffen und schwer verletzt hatte?

Und war nicht die Rede gewesen von Mutationen bei Frischlingen, nachdem etliche Felder mit ungeklärtem Abwasser einer Farbfabrik verseucht worden waren? Es hieß, sie hätten jetzt dreifache Körpergröße.

Nervös fingerte sie nach ihrem Handy, hätte sie sich nicht lieber am Bahnhof auf ihren Mann warten sollen? Noch einmal beschleunigte sie ihren Schritt.

Jetzt erklang unmittelbar neben ihr aus dem Busch ein deutliches Grunzen, von der anderen Seite kam laute Antwort, schon hörte sie es hinter sich. Und jetzt sah sie die Tiere. Sie tauchten auf aus dem Dunkel, näherten sich langsam, rückten stetig heran, schienen sich grummelnd grunzend untereinander zu verständigen. Was fressen die eigentlich? Das sind doch Allesfresser!

Sie erstarrte, mein Gott, die waren riesig, noch nie hatte sie so große Schweine gesehen, es wurden mehr und mehr. Das Handy fiel ihr aus der Hand. Sie bückte sich und bevor sie zufassen konnte, wurde es von einem dicken Schwein einfach verschluckt. Endlich raffte sie sich auf, rannte, stolperte, rannte weiter, gefolgt von der wilden Horde und erreichte mit letzter Kraft ihr einsames Wohnhaus. Sie schaffte es gerade so, mit zitternden Händen die Tür aufzuschließen und zuzuknallen. Da ertönte hinter ihrem Rücken ein schrilles Quietschen. Sie schaute sich um, entsetzt sah sie den eingeklemmten Rüssel ihres ärgsten Verfolgers. Sie wagte es nicht, die Tür noch einmal zu öffnen. Zitternd sank sie auf den Boden, hielt sich beide Ohren zu und hörte dennoch das empörte Geschrei der wütenden Rotte. Dann nichts mehr, sie war vor Entsetzen in eine tiefe Ohnmacht gefallen.

Der Mann kam nach Hause. Er fand eine offene Tür, einen verwüsteten Flur und ein Paar blutige Schuhe.


 

 

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