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Kunterbuntes


meine Enkel


 Eine lila Marotte


Auf dem Rückweg zur S-Bahn bemerke ich, mein Autoschlüssel ist nicht da, nervös durchwühle ich wiederholt alle Taschen. Vergebens bemüht sich Brigitte, mich zu beruhigen. Ich finde mich damit ab, der Schlüssel ist verloren, ich muss 20 Minuten vom U-Bahnhof laufen, den Ersatzschlüssel zu holen.
Es kommt noch schlimmer, der Parkplatz an der Kaufhalle ist leer - ich erstarre – geklaut, mein Auto ist geklaut! Blieb der Schlüssel stecken?
Mit zitternden Händen tippe ich die Notrufnummer in mein Telefon. Der Polizist bleibt ruhig, er kennt sowas, stellt seine Fragen nach Standort, Autotyp und Kennzeichen. Bei der Frage, wann haben Sie das Auto abgestellt, wird mir heiß und dann stottere ich nur noch: Das Auto steht zu Hause! Er lacht und ich denke: Mensch, Mensch, du wirst alt!
Da muss doch was zu machen sein?
Am anderen Morgen fahre ich zum Einkaufspark, besorge mir Johanniskraut und Ginko und will die Rückfahrt antreten.
Du hast wohl ´ne Panne, sage ich genervt, als mein Auto beim Öffnen losbrüllt: däh, däh - däh, däh! Ich gehe zur Beifahrerseite, schließe auf, däh, däh - däh, däh, lärmt es weiter. Ratlos schaue ich zum Piktogramm über mir, es scheint zu spotten: Mein Name ist Hase, ich weiß von nix. Dabei hatte mir dieser Hase gerade noch auf dem riesigen Parkplatz freundlich den Weg gewiesen.
Stille. In der eintretenden Pause springe ich ins Auto, starte und weg. Jetzt wirst du wohl Ruhe geben! Doch nach kurzer Zeit zucke ich beim Fahren heftig zusammen: Däh, däh – däh, däh! Während der Fahrt? Das gab es noch nie. Ich kann doch nicht mit dem brüllenden Wagen durch Berlin fahren, halte an, bewege jedes Schloss, starte, stoppe, starte, jetzt endlich Schweigen. Zufrieden fahre ich weiter. An der großen Bahnschranke habe ich Glück, sie öffnet gerade und ohne anzuhalten überquere ich die Geleise. Da kreischt es wieder los: Däh,däh –däh,däh! Entsetzt schauen die Frauen an der Haltestelle, die Männer mustern mich verwundert, dann lächeln sie mitleidig. Niemand scheint mir zuzutrauen, dass ich Alte das Auto gestohlen habe.
Es nützt nichts, ich muss zur Werkstatt. Auf dem langen Weg dorthin kein giftiger Ton mehr, nur das leise Schnurren des Motors ist zu hören. Nanu? Und dann fällt mir ein, ich habe beim Hasenschild aus Gewohnheit die defekte automatische Türöffnung betätigt und beim letzten Halt erneut. So, so, da lasse ich mir Zeit mit der Reparatur und fahre nach Hause.
Das wird bestraft. Als ich am nächsten Morgen starten will, streikt die Batterie. Die Pannenhilfe muss kommen. Und was zieht der Monteur als erstes unter der Motorhaube hervor? Die Reste einer Elster, die hat ein Marder versteckt, verspeist und gehortet. Es ist nicht das erste Mal, dass er mir ein paar Federn hinterlässt. Persönlich hat er sich noch nicht vorgestellt. Der Kfz-Meister meinte letztens: Wenn Sie nachts immer am gleichen Parkplatz stehen, passiert nichts. Er wohnt da, hat sich das Auto als Revier erwählt, daran vergreift sich nicht.
So fällt mir auch nicht ein, diesen heimlichen Untermieter wegen der defekten Verriegelung zu verdächtigen.
Mein Auto ist betagt, zeigt Altersschwächen und hat sich genau wie ich ein paar Macken zugelegt.

Am besten gehe ich jetzt zum Friseur, erzähle von meinem Schlamassel, da haben sie immer ein offenes Ohr für mich. Es ist der 1.April, doch das schreckt mich nicht.
Sie brauchen einen Kick, sagt meine Frau Mayer, das wird Ihre Stimmung heben!
Schon verpackt sie drei Strähnen meiner weiß gewordenen Haare in Silberpapier, nachdem sie die mit Farbe eingepinselt hat. Gespannt warten wir auf das Ergebnis.
O lala, leuchtend lila prangen drei Haarsträhnen über der Stirn. Mir gefallen sie, das vorher etwas langweilige weiß strahlt plötzlich. Ich fühle mich gut.
Aber wie wird das Echo sein?
Schick und peppig, sagt die Nachbarin im Fahrstuhl. An der Tankstelle lächelt mir ein Mann zu, ich bin nicht wie sonst unsichtbar.
Aber was werden meine Freunde vom Chor sagen?
Das sieht ja chic aus! Du bist sehr mutig! Sehr elegant! Das passt zu dir! Ulrike verlangt, dass ich die lila Socken anziehe, die sie mir gestrickt hat.
Verlegen sage ich: Ich wollte auch mal angesehen werden!
Gleich wird Evchen böse, das kannst du aber nicht sagen, ich beachte dich immer!
Wir lachen beide. Dieses Lachen und die Freude über meinen neuen Flitz bleibt mir während der Heimfahrt im Gesicht stehen, Johanniskraut und Ginko sind vergessen.
Natürlich ist so eine lila Marotte für eine 74jährige ein wenig wunderlich. Und wenn schon, ich fühle mich gut!


Deutsche Sprache schwere Sprache ? 

„ Dat Waaader ward glik afsloten, dat Waaader ward glik afsloten!“ schallt es im Hausflur. Ich bin allein zu Hause. Was will der Mann, ich verstehe nichts. Da kommt der Großvater nach Haus. „Schnell, schnell min Deern, lat Wader inlopen, glik stelln se dat  af, hest du denn den Kierl nich hürt?“ Doch habe ich, aber er war nicht zu verstehen. Eigentlich erfasse ich das Plattdeutsche ganz gut, abends bei Stromsperre liest der Vater Fritz Reuter vor und besonders die älteren Leute sprechen Platt. Woher aber soll ich wissen, dass der Mensch das Wasser abstellen will, wenn er brüllt, dass dat Waaader afsloten ward, abgeschlossen wird.

Warm und vertraut klingt uns das Platt und der Bruder sagt, „eine schöne Sprache,  min leif Mudding klingt viel schöner als meine liebe Mutter“. „ Stimmt, meint der Vater, aber was gefällt dir nun besser: -  In des Waldes tiefsten Gründen sitzt ein Mütterlein und weint -   oder -in Holt in ne Kuhl sit de Olsch und hult -.“

 Der Vater ist in meinen Augen perfekt in beiden Sprachen. Er sammelt Verse in einem dicken Heft, schreibt plattdeutsche Gedichte und Geschichten. In kleinen Szenen lässt er die Sprachen aufeinanderprallen.

Auf dem Amt will er einen Antrag stellen:

Wie heißen sie?  

Ick? Ick heit Fretwurst    

Ihr Vorname ist also Fred, Herr Wurst?    

Man nich doch, wie kamen`s dor up, ick heit Heinz mit Vörnamen.  

Also Heinz Wurst, nicht wahr?   

Watt is denn nu los, will`n Sei mi verschietern? Ick heit nich Wurst, min Vaddersnamen ist Fretwurst. – Heinz Wurst, watt`n Schnack, denn müsste min Brauder Hans jo woll Hanswurst heiten. Nee, ick heit woll und würklich Heinz Fretwurst.  …. .

Wir, mein Bruder und ich wachsen unbemerkt mit zwei Sprachen auf. Der breite rollende Klang verliert sich nie. Auch wenn ich Hochdeutsch spreche, werde ich als Mecklenburgerin erkannt. Es stört mich nicht, wenn man mich „ Pierknüppel“ nennt, das ist die Verballhornung von Rostock, Pferdeknüppel. Wütend werde ich, wenn mich einer „ Fischkopp“ schimpft, dann sage ich, „hol din Mul du Dorsch.“ Dorsch, großes Maul und nichts dahinter, nennen sie bei uns die Berliner, und das sind alle südlich von Güstrow. Probleme mit der Sprache bekomme ich erst als es heißt, Russisch lernen. Mühsam kämpfe ich mich vorwärts. Als wir zu Hause einen kleinen Text übersetzen sollen, verwende ich deutsche Wörter für unbekannte Vokabeln und schreibe sie in kyrillischen  Buchstaben auf. Was für eine Enttäuschung, die Lehrerin sagt„ das gilt nicht.“

Das gilt nicht? Wieso? Vor ein paar Jahren wollte der Weihnachtsmann um Neujahr mir den Lumpenball wieder wegnehmen, ich hatte Löcher hinein geschnitten um zu sehen, ob es vielleicht der alte nur frisch bezogene Ball ist. Ich schreie laut, „das giltet nicht, das giltet nicht, wieder geholn ist gestohln“. Da muss der Weihnachtsmann lachen und lässt mir den Ball.  Dieses Mal also gilt es wirklich nicht, kyrillisch geschriebene deutsche Worte sind nicht Russisch.

Der Misserfolg in der russischen Sprache weitet sich aus. Ich quäle mich mühsam durch die Jahrgänge bis zum Abitur. Da fällt mir das Lateinische leichter, allerdings ist mein Selbstbewusstsein so angeschlagen, dass ich mir nichts zutraue. Ich wache erst auf, als ich merke, dass ich beim abschreiben von Heiko, Fehler in meine richtigen Text einbaue. Das fällt auch dem Lehrer auf, er holt mich in die Lateinprüfung und verhilft mir damit zu einem guten Abschluss. Er, Herr Schuckmann ist auch unser Deutschlehrer. Ursprünglich hat er Theologie studiert. Was für ein Glück, dass er es sich anders überlegt hat. Er scheint alles zu wissen, spricht mit uns über Gott und die Welt und überzeugt uns mit „Faust“ genauso wie mit hebräischen Schriftzeichen an der Tafel oder Hinweisen an die Jungen -  in Abwesenheit der Mädchen  versteht sich -,  „ wenn beim Schülerball die Ausgeguckte schon aufgefordert ist, tanzt mit einer, die sonst keiner holt.“

Nach meinem Vater ist es Lehrer Schuckmann, der es versteht, meine Freude an der Literatur und mein Gespür für die deutsche Sprache zu entwickeln. Ich werde, wie Strittmatter sagt, „empfindlich uff die Wörter.“

Das gebe ich an meine Kinder weiter. Antje wird geduldig angehalten, das bequeme Schwitschern der Vögel durch das präzise Zwitschern zu ersetzen. Der kleine Peter bekommt Sprachhilfe gegen seine faule Lispelzunge. Er lernt um, nur manchmal vergisst er das Gelernte. Der 15-jährige kommt von der Maiparade und erzählt, „ Mensch, waren da viele  Panser!“   Als Antje von der Straße mit ausgeprägtem Berliner Jargon ankommt, wird ihr das Hochdeutsche in der Familie verordnet.

Unverständlich ist mir das Geschrei gegen eine Berliner Schule, die sich bei hohem Ausländeranteil auf eine gemeinsame Sprache, nämlich die des Landes in dem die Kinder aufwachsen, geeinigt hat. Es freut mich zu hören, dass auch mein Absolvent Ron eine solche Entscheidung an der Schule, die er heute in Kreuzberg leitet, durchgesetzt hat.

Daß Schüler und Studenten  mit anderer Muttersprache Dialekte ihres deutschen Umfeldes annehmen ist verständlich und kaum zu ändern.

Ewa  aus Ungarn ist in meine Klasse gekommen. Sie spricht kein Wort deutsch. Nach drei Monaten berlinert sie perfekt. „Ewa, du musst doch richtig hochdeutsch sprechen.“ „Wenn ick det nich anners jelernt hab.“ Darüber ist mit ihr ebenso  wenig zu reden wie über ihre Ablehnung , beim Wandertag mit uns im Müggelsee zu baden, „ det is ville zu kalt“


 

   Kräutergeschichten

Zartblaue Blüten grüßen im Vorbeifahren in der Morgensonne vom Hoppegartener Feldrain. Vor roten und weißen Heckenrosen wetteiferten sie jeden Sommer mit strahlendem Himmel und gleißender See an der Stolteraer Steilküste.
Ich kenne euch. Ihr habt meine schönste Spielkarte im Kinderquartettspiel geziert. Bei der Pflanze stand ein blondfeines Mädchen in hellblau langem Kleid. Ich stehe still am Wegesrand, Wegwarte hat man mich genannt Immer habe ich versucht, diese schöne Karte festzuhalten. Der Großvater hat mir die Blume gezeigt und gesagt, dass man die Gemeine Wegwarte, Zichorie, früher für den Hauskaffee genutzt hat. Zichorie ja, aber warum gemein, das will ich nicht.
Wir sitzen im bulgarischen Reisebus. Wegwarten winken uns. Ich sage, ich stehe still am Wegesrand, da fällt eine Frau ein, Wegwarte werde ich genannt. Wir freuen uns und für den Rest der Fahrt springen die alten Reime hin und her. Brennesselwürzlein spenden Saft, der lange schöne Zöpfe schafft – Zahnschmerzen fragt die Nachbarin und reicht ein Blatt von Salbei hin. Willst du mehr davon hören, musst du mich besuchen, die alten Karten sind noch da.
Neben der Wegwarte gibt sich die Schafgarbe oder das Soldatenkraut bescheiden mit seinen schmutzigweißen manchmal blassrosafarbenen Schirmrispen. Der Großvater erzählt, dass diese bittere Pflanze den Schafen schmeckt und dass in Kriegszeiten Schnitt- und Stichwunden der Soldaten mit dem Saft dieses Krautes behandelt wurden. Auch Onkel Heinrich aus Ostpreußen schwört auf diese Pflanze. Zusammen mit dem gelbblütigen Jesuwunderkraut, so nennt er das Johanniskraut, Wermut und anderen duftenden Heilkräutern hängt es in seinem Häuschen in dicken Büscheln zum Trocknen von der Decke. Er sagt, „Krankheit ist ein natürlicher Vorgang. Die Natur hilft sich selbst. Gleiches muss man mit Gleichem heilen oder aber mit Kontra die Natur zur Abwehr zwingen.“ Dann lässt er ein Pendel schwingen bis es ihm das helfende Kraut anzeigt. Ich verstehe das nicht. „Musst du auch nicht, “ meint der Onkel „Die Ziege, die Blähungen von frischem Klee hat, lässt man frei laufen und sie findet die Kräuter, die sie braucht. Der moderne Mensch ist nicht in Einklang mit der Natur und nimmt Pillen. Mir hilft das Pendel.“ Gut, gut, ich sage nichts, meine Selbsthypnose versteht auch nicht jeder.
Der Onkel verordnet bei Magenkatarrh Schafgarbe mit Wermut und gegen ein Magengeschwür, eine handvoll Wermut und Thymian in einem halben Liter Weißwein gekocht, morgens nüchtern zu trinken. Peter probiert das aus, fällt sofort um, schläft ein und wacht ohne Schmerzen wieder auf.
Gegen Antjes hartnäckige Bronchitis rät er zu Brustwickel und Saft vom Spitzwegerich. Auch diese unscheinbare Pflanze hat der Großvater mir gezeigt. Ihre walzigen, von weißblinzelnden Staubfädenkränzen umstandenen Ähren findet man an Wegrändern, auf Feldern und Wiesen. Die eiförmigen Blätter vom verwandten Breitwegerich haben wir als Kinder abgezupft und an den heraushängenden Blattadern abgezählt, wie viele Kinder wir später bekommen würden. Sieben? Na zwei sind es geworden. Die Wegerichanzeige ist so korrekt wie die Bestätigung der Gänseblümchenblütenblätter, „er liebt mich, er liebt mich nicht“ oder so zuverlässig wie die Lebensaltervoraussage des Kuckucks. Wir sind da skeptisch, warum fragen wir trotzdem?
Der Sohn kommt aus Bulgarien zurück. In seinem Gepäck hat er ein großes durchlöchertes Kaktusohr. Es stammt von der Schlangeninsel im Mündungsbereich des Ropotamo. Schwimmend, mühsam über Wasser haltend, hat er es an Land gebracht. Drei Wochen hing es am Zelteingang .Nachdem es nun all seine Sachen bestachelt hat, wir können die Tasche nur noch auskippen und mit Handschuhen auseinandersortieren, soll ich den Kaktus retten. Vorsichtig schneide ich das Ohr über dem Loch ab, setze es in Erde und rede ihm gut zu. Tatsächlich bildet der Unverwüstliche Wurzeln und fängt an zu wachsen. Der Sohn betreut den Geretteten, das heißt er macht so gut wie nichts. Dann ist wieder Ferienzeit. Nun soll ich den Kaktus pflegen. Der aber reagiert auf meine feuchte Zuwendung sauer und geht ein. Was nun? Heimlich kaufe ich einen Ähnlichen und tausche das gute Stück aus. Misstrauisch beäugt der Sohn den neuen. Jahre später beichte ich. „Das habe ich mir doch gedacht, das war nicht mehr meiner“. Ja so ist das. Die Mutter wollte dem Sohn die Illusion nicht nehmen und wurde ertappt.
Auf dem Hof unseres Neubaublocks haben sich die Mieter eingefunden, Bäume zu pflanzen. Wir setzen Sträucher, schnellwüchsige Pappeln und Weiden. Der Müllstellplatz ist von einem langweiligen Eisenzaun umgeben. Das werde ich ändern, setze die Weiden nah an den Zaun und flechte die Zweige durch das Gitter. In wenigen Jahren verstecken die Weiden den grauen Zaun. Dann ziehen wir weg. Jahre später besuche ich den Hof und suche meine Weiden. Sie sind hochgeschossen und haben den Zaun zerstört. Der hat dem Druck der wachsenden Weiden nicht standgehalten. Mein Gewissen regt sich nicht. Unbewußt habe ich der Natur zu ihrem Recht verholfen. Wenn`s nur immer so leicht ginge!

Pfingstmontag  vor sieben Jahren - ziemliche Pleite auch ohne Pandemie

Um nicht in Feiertagsdepression zu verfallen, habe ich mich für den Rentnerbus zum Mühlentag nach Staupitz angemeldet.

Nach der üblichen Einsammelaktion über drei Stadtbereiche könnte es losgehen. Da an der Autobahn kein Halt geplant ist, sollen wir vor der endgültigen Abfahrt zu Mac Donald auf die Toilette gehen. Die Suche beginnt. Das Toilettenzeichen in der Einkaufspassage weist für Damen in den Keller. Doch der Fahrstuhl ist außer Betrieb und im Keller gibt es keine Toiletten, nur die Tür zur unheimlichen Stille der Tiefgarage. Wir steigen ins Obergeschoss zurück und finden endlich die öffentliche Toilette - verschlossen!

Abfahrt Richtung Autobahn! Baustellen, trüber Himmel, Langeweile. Der Reiseleiter verkündet die zu erwartenden Abläufe.

Fahrt in den Spreewald. Es sind keine Tiere zu sehen, auch keine Wasserläufe, aber Wiesen in allen Gelbtönen.

Der Bus windet sich durch die Straßen von Lübbenau. Eine endlose Autoschlange kriecht uns entgegen, für die Wochenendreisenden hat schon die Rückreise begonnen. Hoffentlich wählen wir später einen anderen Weg!

Mittagessen in einem Gartenlokal unter einem zugigen, halb verschmutzten, stark bemoosten, einstmals durchsichtigen Wellblechdach. Eine Frau sagt, es sei gut, dass die Sonne nicht scheine, weil es dann heiß und noch unbehaglicher wäre. So gesehen, kann man sich alles schön reden.

Abfahrt zur Dreifachwindmühle Straupitz, die kann Korn malen, Leinöl pressen und Stämme sägen. Nur die Menschenmassen, die zum Mühlentag gekommen sind, kann sie nicht bewältigen.

Vor der Mühle gibt es allerlei zu kosten. Auf einer provisorischen Bühne versucht ein Mensch, die Anwesenden reichlich unmelodisch zum Mitsingen zu bewegen: Das Wandern ist des Müllers Lust! Es wird nicht´s draus. 

Meinen Versuch, die Mühle zu besichtigen, breche ich auf der zweiten Plattform ab, schiebe mich an der aufsteigenden lauten Menschenmenge vorbei und zurück. Ich bedaure die mitgeschleppten überforderten kleinen Kinder.

Mit einem Hand-Eis setze ich mich auf eine breite Holzbank, beobachte das Gewusel. Schade, ein vollständiges Foto von der Mühle lässt sich nicht schießen, Plinsen –und  Bierstand beschränken die Sicht.

Eine Mitreisende setzt sich zu mir und wir reden eine ganze Weile über alles Mögliche. Schließlich fragt sie mich: „Woher kenne ich Dich?“ Irritiert antworte ich, dass wir jeden Dienstag im Seniorenzirkel zusammen sitzen. „Tatsächlich?“, sagt sie und dann fragt sie nach meinem Namen. Jetzt bin ich noch mehr verwirrt.

Später bei dünnem Kaffee und trockenen Kuchen, erkennt sie ihren Platz am Tisch nicht, findet ihn lange nicht und beschimpft mich schließlich deshalb. Ärgerlich werde ich nicht, sie macht mich traurig. Ich höre unsere 97 jährige Mutter, die meinen Bruder fragte: „Und wer sind Sie?“

Eigentlich wollte ich gedrückte Feiertagsstimmung vermeiden - ach, ach!       

   

Kleiber, Kraniche und andere Vögel 

Peter hatte ein Auge für die Vogelwelt. Kein Milan, kein Sperber entging seinem Blick. „Der Papa wird uns eines Tages in den Graben fahren“, sagt Antje als er wieder einmal beim Autofahren auf einen Bussard weist.

  Nachts gegen drei Uhr, wir sind im Frühjahr  in eine größere Wohnung am Helenenhof gezogen, werden wir von dem ansteigenden „tü tü tü tü“ eines Vogels geweckt. Auf dem Rasen im Hof hüpft in großen Sprüngen ein kleiner Vogel, er pfeift „hüid“ und schnarrt „karr“ und dann tönt aus den Büschen eine mal flötend schmetternde, mal schluchzende Melodie Wir kaufen uns eine Schallplatte mit Vogelstimmen. Tatsächlich, auf unserem Hof schlägt die Nachtigall. Ihre Töne vergesse ich nie und jedes Jahr suche ich sie wieder zu hören. So schön wie diese unsere erste, scheint keine mehr zu singen.

   Dagegen macht mir das „gröök, gröök“ des Haubentauchers eher Kummer. Beim Baden verfolgt der kleine gestreifte Jungvogel Peter, springt auf seine Schulter und lässt sich an Land tragen. Er ist verletzt. Vorsichtig setzen wir ihn in eine Schachtel und versuchen, ihn mit der Pinzette zu füttern. Am Morgen ist er tot.

  In der Morgensonne irisiert das Gefieder der Stare. „Guck mal Papa“, sagt die kleine Antje, „schön wie eine Fliege!“

Wir besuchen den Tierpark. Eine dicke Dampfschiffente erspäht uns. Sie verlässt den Teich und folgt den grünbehosten Beinen Peters. Bleibt er stehen, steht sie auch, geht er weiter, folgt sie. Dreht er sich um und spricht sie an,  legt sie den Kopf schief und antwortet mit leisen Schnalzlauten. Am  anderen Tag lesen wir in der Zeitung, dass eine Dampfschiffente auf einen Tierpfleger geprägt ist. Aha, die grüne Hose!

Im Kurpark im tschechischen Marienbad beobachten wir einen Mann, dem die Vögel Futter von der Hand nehmen. Das wünschen wir uns auch, kaufen Körner und stellen uns auf. Ruhig strecke ich meine Hand aus, nur nicht zittern! Von der großen Fichte aus werde ich schon beäugt. Da fliegt die erste Blaumeise auf meine Hand, nimmt ein Körnchen und ist schon wieder auf dem schwankenden Ast gelandet. Sie frisst, dass die Schale fliegt und ist gleich wieder da. Ich seh ihr ins dunkle Knopfauge und spüre kalte Füßchen. Die mutigen Kohlmeisen nehmen gleich mehrere Körnchen. Der Grünfink bleibt auf der Hand, knackt den Sonnenblumenkern, so dass die Schalen zu beiden Seiten aus dem Schnabel flutschen. Als letzter kommt der gedrungene blaugraue Kleiber. Das ist mir eine besondere Ehre. Habe ich doch schon seit Jahren seine Kopfabwärtskletterei und sein Geschick beim Öffnen harter Samen bewundert. Er ist vorsichtig, fliegt mich an, schnappt ein Korn und ist schon wieder davon.

    Vor Schwänen fürchte ich mich. Im Winter an der Ostsee lassen manche Leute sie aus der Hand fressen. Da bin ich vorsichtig. Ich erinnere mich wie wir im Frühjahr einen Weg am Scharmützelsee nur mit Hilfe eines ausgeborgten Ruders passieren konnten, weil ein aufgebracht zischender Schwan uns nicht vorbei lassen wollte. Die Schwäne am Hönower Hechtsee sind Nähe gewöhnt, lassen sich gleich hinterm Zaun von allen Gästen des Sommergartens ins Nest schauen.

    In einer kleinen Strandbar auf den Malediven holen wir uns eine Erfrischung. Da erscheint ein großer Silberreiher, schreitet durch die Bar und holt sich an der Küchentür einen Fisch ab. Dann stolziert er ruhig zurück an den Strand. Seine Gangart beeindruckt mich, am Abend versuche ich sein Staksen mit zurückgelegten Armen und hochgereckten Knien. Elegant ist das sicher nicht, grienend sieht Peter mir zu.

   Wir sind zu den Störchen nach Linum gefahren. Dächer, Kirchturm, Masten tragen mit Jungstörchen besetzte Nester. In der Luft aber ein anderes Tönen, Kraniche. Sie tanzen am Himmel  über den Wiesen, tausende. Mit dem Elektroboot der Naturschutzstation begeben wir uns über alte Torfgräben weit hinein in ihr Revier, ins Luch, eine schöne abgeschiedene Welt. Über dem Wasser schaukelt das kunstvolle Nest der Beutelmeise. Aus dem Schilf schwimmt ein Biber direkt auf uns zu, dreht eine Runde, „was wollt ihr denn hier“? Ich kann seinen Bart und die braunen Augen sehen, dann verschwindet er und wir biegen in einen Seitenarm ab, Kraniche, Störche auch Seeadler, immer neue Ausblicke.

   Am Abend fahren wir wieder zurück und dann sehen wir sie noch einmal, auf den Feldern, rastende Kraniche. Die weißgrauen kräftigen Körper rund gebogen, suchen sie mit schwarzen langen Hälsen nach Futter. Manchmal richtet sich einer auf und zeigt uns seinen leuchtend roten Scheitelfleck. Uns sehen sie nicht, wir haben das Auto langsam ausrollen lassen und schauen aus dreißig Meter Entfernung. Sie würden, wenn wir ausstiegen, sofort auffliegen Es werden sogar noch mehr, sie kreisen über den Feldern und landen in elegantem Bogen bei den anderen. Groß und weiß ist der Mond aufgegangen. Da zieht eine Kranichkette, scharf abgesetzt vor der leuchtenden Scheibe, vorbei. Na so was, das gibt`s ja eigentlich nur im Film!

 

Unsere Katzen ( in mehr als 30 Jahren)

Unser erster Kater hatte blaue Augen. Wegen seiner vornehmen Abstammung nannten wir den Langhaarigen Erasmus. Er war ein gieriger Allesfresser. Eingepacktes Fleisch wickelte er aus, auftauende Hühner waren nicht sicher und Fisch seine in unserem Land preisgünstige  Lieblingsspeise. Von letzterem wusste er natürlich nichts und auch nichts von der inzwischen entstandenen Tierfutter- und Verwöhnindustrie für bundesdeutsche Haustiere. Was da in einer unglaublich umfangreichen Vielfalt auf dem Markt ist, kann man angesichts hungernder Kinder in der Welt nur als pervers bezeichnen.

Indessen hatte der Kater seine Vorlieben für bestimmte Speisen entwickelt. War nicht das Gewünschte im Napf, streikte er, legte sich mit gelangweilter Miene auf die Küchenschwelle und schlug mir die Pfote mal eben im Vorbeigehen in die Wade. Das wiederholte sich einige Male. Ich werde mich doch nicht von einem Kater dirigieren lassen! Aber, du ahnst es schon, der Kater gewann immer.

Die Ferien verbrachten wir stets bei den Eltern in Rostock. Antje, Peter der Vierte und Erasmus kamen im Auto auf die Rückbank. Erasmus an langer Leine dekorierte zur Freude anderer Reisender die Hutablage. Aber wehe unser Auto, Archibald der Orangene wurde schneller als siebzig, dann sprang der Kater laut schreiend unter einen Sitz und hörte erst wieder  auf, wenn die Geschwindigkeit gedrosselt wurde.

Am Strausberger See verbrachten wir in einem kleinen Bungalow einige Ferientage. Antje übte sich im Radfahren, Peter der Vierte kugelte durchs Gelände. Peter der Erste. beeindruckte die anwesenden Schüler durch Umstürzen eines mittelstarken Baumes. Morsch war der, aber das haben die Kinder nicht bemerkt. Mit Ausdauer tauchte Vater Peter im See nach alten Tonflaschen, die ich von Algen befreite und die seitdem gemeinsam mit angejahrten Kaffeeflaschen aus Körkwitz, darüber erzähle ich später, meine Küche schmücken. Bis heute hält mir der Sohn vor, dass ich sein erstes Tauchergebnis, ein angeschlagenes Töpfchen sofort als untauglich wieder in den See warf.

 Das der Vater später den Tonflaschenvorrat noch durch ein Kneipentauschgeschäft erweiterte, war dagegen mir nicht recht .Jahrelang hatte er eine eiserne Spitze im Schotter des Schulhofs beobachtet. „Das ist bestimmt ein Bügeleisen.“ Mit einer Spitzhacke gräbt er schließlich ein altes Kohleeisen aus und fügt es als besonderes Fundstück in unsere bunte Küchensammlung ein. Nun war es also weg. „Machst du solche Sachen?“ Ich lege  einen Zettel ins Küchenregal: „Hier stand ein Bügeleisen!“ und kaufe mir zum Ausgleich schicke Stiefel im Exquisit, ein teurer Sonderladen in der DDR.

Kater Erasmus, an langer Leine gesichert, schlief  in der Sonne, wälzte sich im Gras und führte ein faules Leben. Nachts blieb die Tür offen, wir schliefen, der Kater wachte vor der Tür. Da, jäh weckt uns ein Geschrei, wir stürzen hinaus. Über dem Kater kreist ein Uhu, zwei Paar phosphoreszierende Augen giften sich an. Der Kater kreischt, der Uhu schreit, wer wagt sich da in sein Revier, er dreht eine Runde, dann lässt er sich drei Meter über dem Kater auf einem Kiefernast  nieder. Weilchen vergeht, der Uhu kreist, jetzt etwas tiefer. Der Kater kreischt, der Uhu schreit, er dreht eine Runde, dann läst er sich funkelnd auf zwei Meter Höhe nieder. Wir nehmen den Kater ins Haus, Tür zu, er faucht wütend, warum muss er das Revier  verlassen? Das versteht er nicht! -  Er hätte an der Leine alt ausgesehen, und es war nicht sein Revier. -

Sein  Revier  war unsere Wohnung mit allen Fenstern und dem Balkon. Er scheute sich nicht, es zu  markieren, das erste Mal zur Freude unserer Gäste,  als er als stolze Neuerwerbung vorgeführt werden sollte. Ich fand das gar nicht komisch. Diese Unsitte konnten wir ihm nie ganz abgewöhnen. Wenn ihm etwas nicht passte,  teilte er uns seinen Ärger deutlich mit.

  Auf Handwerker reagierte er mit Vorsicht. Er räumte das Feld. Lange haben wir in allen Schränken gesucht. Der Kater schien verschwunden. Wir sitzen in der Küche und rätseln, was nun zu tun ist, er scheint die Wohnung verlassen zu haben, da rappelt es im Herd. Der Vater öffnet die untere Lade. Aus der großen Schmorpfanne blinzeln uns sieben Kilo Kater an. Wir müssen lachen. Er steigt gravitätisch aus der Pfanne.

Der Kater wurde kastriert, anders geht es nicht, wenn er mit uns in der Wohnung lebt. „Sind alle einverstanden?“ fragt der Tierarzt. „ Natürlich“, sagt der große Peter.  „Der Kater auch ?“ Wir müssen zugeben, wir haben ihn nicht gefragt.

Die Nachfolger von Erasmus werden Polly und Pascal, ein Karthäuserpärchen, silberscheinendes Grau, bernsteinfarbene Augen. Schüchtern sind sie, fürchten sich vor jedem Hauch. Ihre Mutter wurde von einer eifersüchtigen Altkatze verfolgt. Die Jungen haben flüchten erlernt und das gründlich. Sie lehnen jede Annäherung durch uns ab. Klingelt es  an der Wohnungstür, sind sie lange Zeit verschwunden. Alles machen sie gemeinsam, liegen als Doppelpäckchen im Regal, auf der Sessellehne, auf dem Toilettendeckel, in der Obstschale. Diese wird  Lieblingsschlafplatz und wir kaufen später eine zweite, weil nicht mehr beide zusammen hineinpassen.

Geht eine Katze zur Futterschale, guckt sie sich um, ob die andere auch folgt. Sie suchen sogar gemeinsam die Katzentoilette auf. Es dauert ein halbes Jahr bis die Katzen bereit sind, sich von uns anfassen zu lassen. Der dicke Pascal liegt mit Vorliebe neben Vater Peter und lässt sich kraulen. Polly streift um die Stuhlbeine, macht einen Buckel und mit ausgestrecktem Arm schaffe ich es mühsam, sie zu streicheln. Im Gegensatz zu Erasmus,- der nie kam, wenn man ihn rief, er blinzelte nur und war damit zufrieden, wenn er uns sehen konnte-, hören die Katzen.

Ich rufe, „Polly“, sofort geht es klapp, klapp, klapp über das Parkett heran, kleine Zeit später erscheint mit gewichtigem Schaukelschritt  Pascal. Rufe ich ihn mit seinem Namen, kommt er nicht. Er hört nur auf Polly. Na macht nichts. Daran bin ich gewöhnt, dass zwei auf einen Namen reagieren.

Über das Innenleben von Tieren ist noch wenig bekannt. Von Hunden weiß man, dass sie sich eng an ihren Rudelführer Mensch anschließen. Unser Kater hat eine Seele. Als der Vater ins Krankenhaus muss, scheint zunächst alles wie gewohnt zu laufen. Dann dauert es Pascal zu lange, er protestiert und pinkelt in die Ecke. Alle Versuche, ihn davon abzuhalten, scheitern. Er hört sofort auf, als Peter wieder zu Hause ist. Bei jeder neuen Krankenhausbehandlung wiederholt sich das Verhalten. Ich schimpfe nicht, beseitige den Schaden, wir leiden stumm gemeinsam. Als Peter gar nicht mehr kommt, pinkelt der Kater ins Bett.

Einige Monate später ziehen wir in eine kleinere bezahlbare Wohnung. Die Katze kommt zurecht. In kurzer Zeit hat sie die Räume erkundet und auch die obere Wohnetage erobert. Pascal benötigt  drei Wochen, ehe er in Etappen über mehrere Tage Schritt bei Schritt und Stufe für Stufe die Wendeltreppe hinaufsteigt. Zuletzt steht er aufgereckt auf der vorletzten  und sieht sich so das Oberstübchen an. Dann kommt er wieder herunter. Am nächsten Tag bezwingt er die Hürde.

Dann mache ich einen folgeschweren Fehler. Ich reise nach Mexiko. Ich reise für uns beide. Solche Reise hatte ich vier Jahre zuvor gewonnen und dann an die Tochter verschenkt, weil wir sie nicht mehr antreten konnten.

Die Katzen bringe ich indessen in die Pension, aus der sie stammen und in der sie häufig gut betreut worden sind. Dieses Mal kommen sie abgemagert und ausgetrocknet zurück. Beide Katzen müssen an den Tropf. Der Kater schafft es nicht. Ich glaube, er ist aus Kummer gestorben.

Polly sucht den Kater. Sie ruft nachts nach ihm und schließt sich eng an mich an. Wenn ich das Haus verlasse, sitzt sie stumm auf dem Flur und sieht mich eindringlich an, „ gehst du schon wieder weg?“ Ich gehe  traurig und mit schlechtem Gewissen. Polly braucht einen Gefährten. So  fasse ich einen Entschluss, ein neuer Kater muss her.

Er sieht lustig aus mit seinem weißen, schwarz betupften Fell. Ich nenne ihn Tibby Klecks.

Da habe ich mir was eingebrockt. Das Katerchen ist nicht zu bremsen, pausenlos durchsaust es die Wohnung, schmust bis zur Aufdringlichkeit und  ist  mir auf den Hacken. Polly aber lehnt den Neuen ab. Jede seiner immer vorsichtigeren Annäherungen wird von ihr mit giftigem Fauchen abgelehnt und es setzt Ohrfeigen.  „Nicht einmischen, “ hat die Züchterin gewarnt. Ich halte mich daran und fühle mich schlecht vor Ratlosigkeit. Schließlich verlasse ich genervt die Wohnung. „ Und nun? Soll ich den Kater zurückbringen? Was für eine Blamage!“ Lange laufe ich durch die Wiesen, beruhige mich, in meinem Kopf arbeitet es, ich entwickle mein Erziehungsprogramm. Damit wir zum gewohnten Leben zurückkehren können, wird der Neue mit Spielzeug abgelenkt. Wenn er auf mein energisches „Nein“ nicht reagiert, weil er gerade mal wieder auf einem Blumentopf herumturnt, auf die Computertasten springt, sich an mein Essen heranmacht, bekommt er eine Dusche mit der Blumenkanne. Gibt er immer noch nicht auf, wird er in der Küche eingesperrt. Siehe da, die Sache macht sich. Der hartnäckige Kater nähert sich mit Vorsicht der Katze und springt ihr nicht mehr übermütig auf den Rücken. Nach einer Woche läst sie sich auf sein Spiel ein und jagt mit ihm herum. Sie frisst wieder und hat ihr seidenweiches Fell zurückbekommen. Als ich sehe, Polly schläft als graue Umrahmung um den weißen Katerkringel, atme ich auf. Es wird noch dauern bis aus dem verrückten Halbstarken eine gesittete Rentnerkatze geworden ist.

Wir lernen, zu dritt zu leben.

                                                                                                                                         

Schönheitswunsch und Schönheitswahn

JuliZeh,deutsche Schriftstellerin, geboren 1974: Wie wollen wir denn nun sein, stark,schön und erfolgreich - oder edel,hilfreich und gut? 

Die Spinne hat ein großes Netz in meine Balkontür gehängt. Auf dem Rahmen wartet versteckt und geduldig die dicke Kreuzspinne. Gleichmäßige Fäden ziehen von innen nach außen, halten kreisförmige klebrige Fangfäden. Regentropfen hängen daran, funkeln im Licht.Ein schönes Netz, das möchte ich erhalten und betrete nur noch mit Verbeugung meinen Balkon.Die Spinne mit ihrem Kunstwerk ist erfolgreich und zugleich hilfreich für mich gegen die lästigen Fliegen. Von edel und gut  weiß sie nichts, sie will fressen.Ist sie schön? Da gehen die Meinungen weit auseinander. Sie entspricht nicht unbedingt den menschlichen Vorstellungen von Harmonie und Schönheit und vielen flößt sie Abscheu und Entsetzen ein. Verdient hat sie das nicht. Ich schone ihr Netz und fühle mich gut.

Ich befrage Freunde: Wie wollen wir denn nun sein: stark schön und erfolgreich - oder edel,hilfreich und gut?

Dagmar:Ohne dass ich es will, und ich würde es wollen, bin ich alles! Stark - rückblickend habe ich so viel geschafft und erreicht in meinem Leben, bin aus so manch einer schwierigen Situation gestärkt hervor gegangen.Schön - was heißt das? Ich kann in den Spiegel schauen und mich anlächeln, nicht jeden Tag, und bin ganz zufrieden. Erfolgreich- wenn die Schüler sich freuen mich zu sehen, dann fühle ich mich so.Edel- mit dem Wort kann ich nicht so viel anfangen.Hilfreich und gut -bin ich. Ich kann mich in andere hinein versetzen, helfe sehr gern und ich achte darauf, dabei auch gut zu mir selbst zu sein.

Carla:Du nun wieder. Ich denke noch ein bisschen drüber nach, aber spontan fällt mir ein:Von allem in Maßen, das „oder“ kann eigentlich weg.

Martina:Ich denke, es lässt sich besonders gut edel und hilfreich sein, wenn man stark und erfolgreich ist. Schön sind wir ja sowieso!

Renate:Liebe Edda, eine schnelle Antwort, ohne groß darüber nachgedacht zu haben: Wenn man jung ist, will man das erste. Wenn man alt ist, begnügt man sich einsichtig mit dem letzteren.

Amrei:Ich möchte edel, hilfreich und gut sein. Das sehe ich als das Wichtigere und Rang-Erste. Daraus kann sich dann ergeben, auch stark schön und erfolgreich zu werden, aber nicht zwangsläufig. Umgekehrt geht das schlecht …

Steffi:Ich möchte sooooooo gern alles sein: Stark im Willen. Schön im Geist. Erfolgreich leben. Edel im Herzen. Hilfreich im Umgang mit meinen Nächsten. Gut zu mir selbst.

Hannelore:Interessante Frage. Bestimmt geht beides, aber dauert viel länger. Darum könnte man sich vielleicht auch im Wechsel um diese Sachen kümmern.

Dieter: Meine Gedanken darüber: Man sollte stark sein, denn in dieser Gesellschaft muss man stark sein, das spüre ich bei der Arbeit am eigenen Leib. Man sollte hilfreich sein. Wenn man es ist, dann zeugt das auch von einer gewissen Güte.Ich kenne da noch einen Vers: "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut", weiß jetzt aber nicht woher der stammt. Wir sind ja auch so erzogen worden, sei es in der Schule oder im Elternhaus. …

Ingrid:Heute wird schön mit sexy und stark mit gut gleichgesetzt. Du kannst dumm sein, musst dich nur gut verkaufen können. Ohne selbstbewusstes Auftreten kommst du nicht weit.Wir haben Werteverfall.  Edel, hilfreich und gut ist nicht mehr aktuell, gehört in die alte Zopfzeit.

Anne:Hallo Edda, eine interessante Frage, hab mehrere Tage darüber nachgedacht. Mir ist niemand eingefallen, auf den alle Eigenschaften zutreffen. Zumindest nicht im irdischen Leben….Solche Einschätzung ist ja auch sehr subjektiv Was einer als schön und gut empfindet, ist für den anderen hässlich und schlecht. Ich glaube nicht, dass ein Mensch auf Erden all diese Eigenschaften für sich in Anspruch nehmen kann.

Werner: Manchmal fällt mir das tiefgründige Denken schwerer als das Lesen. Und so habe ich bei Tucholsky folgendes gefunden:      „Das Ideal.                                                                                                                                                                               Jedes Glück hat einen kleinen Stich                                                                                                                                              Wir möchten so viel: Haben. Sein. Und gelten.                                                                                                                                 Dass einer alles hat: Das ist selten.“

Und Du , wie willst Du sein, stark, schön und erfolgreich - oder edel,hilfreich und gut?

 

 Alles hat zwei Seiten

Wirklich alles?

Was ist mit der Kugel?  Drehe ich meine Kristallkugel, zeigt sie stets das gleiche - ein kopfstehendes, durchscheinendes, leicht verzerrtes Bild. Nur wenn ich um sie herum gehe, scheint ein anderes Bild durch sie hindurch. Die Kugel aber verändert sich nie, sie ist vollkommen.

Meine marmornen Kugeln  haben ebenfalls nur eine Seite, wenn auch die farbige Maserung  mehrere

Seiten vortäuscht. Eine Hohlkugel müsste ich zerstören, wollte ich ihre innere Seite sehen.

Die Gitarre dagegen hat eine Vorder- und eine  Rückseite. Daran denke ich nicht, wenn ich von ihren Saiten spreche, es sind sechs. Ihre ideellen Seiten sind kompliziert, einerseits kann die Gitarre mit ihrer Musik verzaubern, andererseits kann ihr stümperhafter Gebrauch zur Verzweiflung treiben.

Und da gucken ehrlicherweise zwei meiner Seiten heraus, die eine ist der Wunsch nach Vollkommenheit, die andere schlechthin Faulheit.

Es hilft nichts, wenn ich mich um mich drehe oder wenn du um mich herum läufst, ich bin und ich werde nicht vollkommen, die Faulheit aber….

 

Alter Brauch

Vor dem Cafe Sybille in der Karl-Marx-Allee sitze ich mit meinem Eis und betrachte die vorbei laufenden, fahrenden, eilenden. Es nähert sich ein Radfahrer in Zimmermannstracht, den ich versunken - früher sah ich euch häufiger - betrachte. Entgegen der bekannten breitkrempigen Hüte trägt er einen kleinen runden mit schmalem Rand, ein bisschen wie Chaplin. Er sieht mein neugieriges Auge, lächelt mich an und lächelt vorbei.  Ein Glücksmoment, zwei Menschen sind sich begegnet.  

 

  

Der Ausstand

ist eine noch bestehende Schuld oder das Ausscheiden aus einer Gemeinschaft, einem Dienst, einer Stellung.                                     Im heutigen Fall  handelt es sich um  ein unliebsames Thema für einen Schreibzirkel, das ich gerne los wäre.                                     Ich könnte es liegen lassen, wie ohne Abschied aus dem Patientenkreis meiner erfolglosen Zahnärztin verschwinden. Aber das Gewissen! Ein Blumenstrauß als Ausstand wäre geheuchelt, eine derbe Kritik berechtigt. Ich habe mich vor den haarigen Zähnen gedrückt.                                                                                                                                                                            

 Den Ausstand gebe ich in den                                     „Trödelstand der Wörter“:

Einstand, Aufstand und Bestand,

Anstand,  Handstand, Mittelstand

alles besser als so´n Ausstand!

Notstand, Abstand, Unterstand,

Beistand, Höchststand oder Sandstrand,

stopp, das passt nicht, Unverstand!

Vorstand, Leerstand, Zwischenstand,

vielleicht gefüllter Kontostand.

Lego- und Scharaffenland

passt wieder nicht, ist ohn` Verstand.

Ich werd bei meiner Meinung bleiben

         und über Ausstand gar nichts schreiben.        



 

 

 


 Immer auf der Suche          

-mein Leben

Zuerst war meine Mutter auf der Suche - nach einem Namen. Sie war auf einen Jungen aus, Mädchennamen hatte sie keinen parat. Die Hebamme suchte statt ihrer, so wurde ich Edda.

In meinen Anfangsjahren suchte ich  Zuwendung. Ich fand sie beim Vater und beim  Großvater. Natürlich suchte ich auch andere Sachen, Kinder im Versteck, Eier unserer Hühner. Die hatten gleich einen Namen, Olga, die war weiß und die Braune hieß Minna.

Dann half ich, einen Bruder zu suchen und sang auf dem Hof: Klapperstorch du guter, bring mir einen Bruder. Siehe da, es klappte, der Storch hörte, biss die Mutter ins Bein, sie musste ein paar Tage im Bett liegen, aber der Bruder war da.

In der Schule suchte ich vor allem Vergnügen, bisschen was habe ich auch gelernt.

Als ich vierzehn Jahre alt war, suchte ich oft meinen Personalausweis. Fast immer fand ich ihn zwischen Socken und Pullovern in meinem knapp bemessenen Schrankfach. Wenn das Chaos kein Schließen der Tür mehr zuließ, fegte die Mutter mit einem langen Armzug, böse schimpfend, den Schrank leer. Missmutig suchte ich die Sachen im ganzen Zimmer zusammen und räumte sie wütend in den Schrank zurück.Hätte sie mir nicht besser helfen sollen, ein Ordnungssystem zu finden?

Dann brauchte ich einen passenden Beruf. Zuerst wollte ich Landwirt werden. Das gab ich nach meiner ersten Kartoffelsammelsuche als zu anstrengend wieder auf. Ich suchte nicht weiter, nahm den einzigen Beruf, den ich kannte und wurde Lehrer. Das war gut und es hat mir nie leid getan.

Bisschen später suchte ich nach einem Mann. Beim ersten war ich damit zu schnell, er war schön und dumm, hat mir außer einer liebenTochter nur Ärger eingebracht. Da hab ich mir einen neuen gesucht, der war richtig. Er hat mir einen klugen Sohn und 35 Jahre erfülltes Leben geschenkt.

Und jetzt?  Ich such noch so rum, damit ich Daseinsberechtigung und keine Langeweile habe. Manchmal habe ich Glück und finde einen schönen Augenblick oder eine Geschichte.

 


Ein Magier bin ich nicht

 

Gedanken lesen und erraten,

Zukunft deuten aus den Karten

kann ich nicht.

Prophezeien, offenbaren,

Glück  verheißen, Heil wahrsagen –

unheimlich !

Vorauserkennen das Geschehen

Kugel drehen und hellsehen?

Glaub ich nicht!

Ich kann mir was zusammenreimen,

voraus berechnen

und versprechen.

Doch ein Magier bin ich nicht,

ich seh nur bei hellem Licht.

 

 

Mausige Probleme

 

Zur Maus die weiße Katze spricht:

„Am dreizehnten, da fress ich dich!“

Der Mausmann lacht: „Da hab ich Schwein,

nur freitags schüchterst du mich ein.“

Die Mäusin piepst mit Angstgesicht:

„Die Morgenspinne warnte mich

 vor Kummer und vor großen Sorgen,

bleibe besser gut verborgen!“

„Ach was“, tönt da der Mauserich,

am Schornsteinfegerhosenbein

da ruße ich mich dunkel ein,

steck Vierblattklee auf meinen Hut,

sie sieht mich nicht und mir geht`s gut.

Dann spuck ich dreimal kräftig,

die Kätzin rutscht recht heftig

in der glatten Spucke aus

und ich stolzier vergnügt nach Haus!“

Doch jetzt -  erstarrt der arme Wicht -

er ruckt sich nicht, er rührt sich nicht.

Ein schwarzer Kater geht vorbei,

                   beendet ist die Prahlerei.                   

 



                                             Der Grünspecht

Grün ist der Grünspecht, grüner geht es gar nicht,

knallrote Kappe, Räubermaskengesicht,

schallendes Lachen wie: kjück, kjück, kjück, kjück,

es klingt auch ein wenig nach: glück, glück, glück, glück.

Dir folgt, und du kannst da weiter nichts machen,

sein eindringlich ausdauernd gellendes Lachen.

Ich denke bestürzt, meint er wohl mich?

Doch da fällt mir ein, er kennt mich ja nicht.

Er trommelt nur selten, bohrt in der Erde

nach Ameisenpuppen, dass satt er werde.

Bruthöhlen baut er in Eichen und Linden,

ist sommers wie winters bei uns zu finden.

Wieder lacht er und wieder und wieder,

Frau Grünspecht bewunderts, auch sein grünes Gefieder.

Ich bin vergnüglich, denn der Grüne, du weißt,

spitznamig „Lachender Hans“ bei uns heißt.

 

 

 

 

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