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 Unterwegs

Der Tag ist gerettet  


Nachdem ich zwei trübe Tage vertrödelt, Zeit vergeudet habe, strahlt heute der Himmel blau.
Genau das richtige Wetter für den lang geplanten Tierparkbesuch. Das ist die Gelegenheit, endlich den neuen Wintermantel auszuführen. Wochenlang hing er im Flur als Mahnung auf dem Weg zum Kühlschrank. Wirklich er passt, wirft nicht länger Querfalten. Beschwingt mache ich mich auf den Weg.
An den Kassen sammeln sich erste Menschengruppen. Ich eile vorbei, habe noch eine letzte Karte vom Chorauftritt beim Tierparkfest. In Zukunft wird es keine verbilligten Karten mehr aus diesem Anlass geben und der volle Eintrittspreis berappt werden müssen.
Hinter den Toren beim riesigen Bollerwagen-Geschwader sammeln sich Menschen zu einer Führung über lateinamerikanische Tiere. Ich eile vorbei, so kann ich mein Tempo selbst bestimmen und Pause machen, wo es mir gefällt, eine kleine Isoliermatte steckt in meiner Tasche.
Der vertraute, seit 50 Jahren immer wieder gewählte Weg führt zu den Eisbären. Die liegen in der Sonne auf den Felsen, einer schläft, ein zweiter räkelt, streckt sich und gähnt. Der dritte versucht vergeblich, den auf einer treibenden Scholle befestigten Baumstamm ins Wasser zu stoßen, Langeweile hat er nicht, die Besucher freut´s.
In den engen Außengehegen des Brehmhauses drängen sich die Großkatzen, im Haus wird gebaut.
Das Fell der eleganten schwarzen Panter lässt unter der Sonne die versteckt vorhandenen Leoparden-Rosetten schimmern. Auch hier wieder lagern zwei auf erhöhter Position, der dritte aber streift unruhig längs des Gitters hin und her. Er fährt auf, als im Nachbargehege ein sibirischer Tiger erscheint. Auch der reagiert nervös, faucht gereizt. Ich staune über eine junge Frau, die ihrer Mutter erklärt: Die wollen zusammen spielen!
Bei den Pinguinen herrscht Brutstimmung, viele Höhlen sind besetzt. Das elegante zügige Schwimmen, bei denen die Tiere unter Wasser zu fliegen scheinen, entfällt heute leider. Dafür steht ein Graureiher auf der Anlage, unbeweglich, Auge in Auge mit einem ebenso reglosen Pinguin.
Riesenkrach bei den Papageien und Scharen von Menschen vor ihrem Gehege, nicht meine Tonart.
Wie immer mache ich später bei den Wölfen halt, es ist nicht ihre Tageszeit, dennoch bleibe ich lange, ein prächtiges großes Tier ruht auf einer kleinen Anhöhe, den Kopf mir zugewandt. Schön dich zu sehen, deine Artgenossen siedeln wieder im Umland. Schade, dass du keine Chance mehr zum freien Leben hast, bist den Menschen zu nahe gekommen.
Die Graureiher schert das nicht, sie sind freiwillig da. Hoch über mir in den Kronen der alten hohen Buchen sind sie dabei, sich niederzulassen, Horste zu besetzen, auszubessern und zu verteidigen, ein reges Treiben. Ich sitze in sicherer Entfernung. So sehr ich euch bewundere, meinen Mantel lasse ich nicht bekleckern.
An den Kamelwiesen vorbei wende ich mich allmählich dem Ausgang zu und werde aufgehalten vom leuchtend gelben Blütenteppich des Scharbockskraut. Nach dem Kalender ist es noch Winter. Die Natur aber arbeitet am Frühling. Mir hat sie einen Tag geschenkt.


Die Wölfe sind zurück

Wölfe  I  (2014)

Mir hat der Wolf in den Märchen immer leid getan. Es war mir nicht recht, dass ihm Steine in den Bauch gelegt wurden, die ihn mit ihrem Gewicht in den Brunnen zogen.

Seit vor Jahren erstmals von Wolfsspuren die Rede war, hoffe ich auf seine Rückkehr.

Es war zum zweiten Mal Frühling als Akela, die Wölfin spürte, dass die Zeit gekommen war, das Rudel zu verlassen. Im vergangenen Jahr hatte sie der Mutter bei der Aufzucht der Jungen geholfen. Wenn jetzt eine neue Geburt bevor stand, würde in wenigen Wochen das Revier zu klein, der Bau zu eng werden. Nachts machte sie sich davon. 

Ein langer gefährlicher Weg stand ihr bevor. Sie interessierte sich nicht für die Menschen, ging ihnen aus dem Weg, wollte nur Nahrung, Raum und Frieden. Sie wusste nichts vom bösen Wolf als Kinderschreck, hatte aber unangenehme Bekanntschaft mit einem zwickenden Zaun am Schafpferch gemacht und nutzte Wildbrücken zum Überqueren der großen Straßen, die mitten durchs Wolfsrevier führten.

Als sie an die 1000 Kilometer gewandert war, hörte sie aus der Ferne Taruk, den Wolf. Sie antwortete und traf mit ihm auf dem alten Truppenübungsplatz im Südbrandenburgischen zusammen. Wird es ein neues Rudel geben?

Ein paar Monate sind vergangen. Vor einigen Tagen wurden  frische Spuren auf einer Brache gesichtet, Spuren von Wölfen.

Ich verstecke mich am Waldrand. Nein, Angst habe ich nicht, ein lauter Ruf, ein Händeklatschen würden  den Wolf verscheuchen, ich warte.

Da erscheinen fünf tapsige Welpen, spielen, raufen, üben ungeschickt den Mäusesprung. Akela, die Mutter sehe ich nicht. Das kleinste der Jungen hebt den Kopf, schaut neugierig in Richtung Kamera. Der breite Kopf, die kleinen dreieckigen Ohren, der helle Schein um die Schnauze, die ausdrucksstarke Mimik, kein Zweifel, ein Wolf sieht mich an.

Ein brechender Ast, ein Lockruf, ab geht es im Wolfstrab!  

Ich wünsche dir Glück kleiner Bruder!                    
 

Wölfe II    (2016)

Zwei Jahre sind vergangen, da erzählen mir meine Kinder aufgeregt von  66 riesigen Wolfsmenschen auf dem Alten Markt in Potsdam, sprungbereit mit fletschenden Zähnen, ausgefahrenen Krallen, bedrohlich angespannten Muskeln ,angriffsbereit.

„Was soll das? Sind es Wolfshasser, die gegen die sich gerade wieder ansiedelnden Wölfe vorgehen wollen?“, sorge ich mich.

Ich höre die Schöpfungen des Künstlers Rainer Opolka  tragen  Namen wie Mitläufer, Blinder Hasser, NSU Mann, Kraftprotz, Attac, Anführer, Blind Soldier. Sie sollen ein Zeichen setzen gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Hass und Gewalt. Ich sehe mir Fotos an, bin immer noch besorgt um  die echten Wölfe.

Die Kunstausstellung kommt nach Berlin auf den Washingtonplatz am Hauptbahnhof.

Da stehen sie nun in weitem Rund, gefährlich drohend, Blick Richtung Kanzleramt. Das riesige Wolfsrudel steht symbolisch für Hasser, Brandsatz Werfer, Neo-Nazis, wütende Pegidisten und AFDler, die auf Flüchtlinge schießen wollen.

Große Tafeln informieren: Die Wölfe sind zurück? Wölfe nicht füttern,   Entschuldigung  bei echten Wölfen, deutliche Abgrenzung.  Texte von Rainer Opolka  zu Hass, Gewalt und Ängsten regen zu Diskussionen über Rassismus und Gewalt an. Leere Tafeln bewegen den Besucher, aufzuschreiben, was man tun kann, damit keiner mehr hassen muss.

„Nicht schweigen, nicht wegsehen!“, schreibe ich auf und erhalte sofort Gelegenheit. Laut schimpfend kommt eilig ein gut gekleideter Mann mit Aktentasche über den Platz, scheint seiner Arbeit zuzustreben: „ Das soll schön sein? Kunst? Unverschämt ist das! Das kann doch wohl nicht wahr sein! Verbieten muss man sowas!“ Bestürzt sehen sich die Besucher an, ich fasse mir ein Herz und rufe ihm nach: „Sie haben sich wohl wieder erkannt!“

Im ausgelegten Informationsheft  erschüttert mich der Bericht des Arztes Raphaele Lindemann, zuständig für die medizinische Erstversorgung neuankommender Flüchtlinge in Deutschland:

„Ich sehe pro Schicht etwa 300-500 Flüchtlinge. Mindestens 40% sind davon Kinder. Es gibt Familien, es gibt Alte und ja- es gibt auch junge Männer. Warum auch nicht? Allen gemein ist, dass sie absolut entkräftet und fertig sind, Ich habe bisher nie so viel Elend und Verzweiflung auf einem Haufen gesehen. Neulich haben wir zum Beispiel eine Frau versorgt, deren Beine komplett verbrannt waren. Keine Ahnung wie sie es überhaupt bis zu uns geschafft hat. Wir haben allein eine halbe Stunde gebraucht, um die festgeklebten, schmutzigen und stinkenden Verbände von den vereiterten  Wunden zu lösen. Da war aber kein Klagen und keine Anspruchshaltung… Übrigens haben die Flüchtenden natürlich ihre Smartphones dabei. Die haben vorher nicht in der Steinzeit gelebt… vielen ist es zunächst wichtiger ihre Handys aufzuladen, als etwas zum Essen zu bekommen. …warum? …Dass sie ein Lebenszeichen an die Lieben schicken wollen, wird diesen Menschen allerdings regelhaft zum Vorwurf gemacht und als Beleg für die fehlende Hilfsbedürftigkeit gesehen. Mit Verlaub-das ist weltfremd und obendrein arschig!"

Das Wolfsrudel rüttelt auf.

Wenn die Formen der Ordnung und des Zusammenhalts zerbrechen und Fremdenfeindlichkeit sich ausbreitet, moralisch-ethische Regeln ihre Gültigkeit verlieren und die Gesellschaft zunehmend von Angst, Gewalt und Verrohung geprägt wird, wird  der Mensch des Menschen Wolf?

Nein das entwürdigt den Wolf. Der Mensch wird des Menschen Unmensch.   




Irland, kein Reisebericht    September 2009

Als  wir  bei einer unser Englandreisen in Wales weilten, sahen wir die Fähre nach Dublin. Wir verschoben die Überfahrt auf  ein  anderes Jahr, ein Kurztrip schien uns zu hektisch. Wer konnte ahnen, dass Peter keine Zeit bleiben würde.

Zehn Jahre später freue ich mich auf eine Busrundreise mit  Eva. Mit ihr habe ich vor fünfzig Jahren die Schulbank gedrückt. Mit dem Zug fahre ich nach Rostock, Eva holt mich ab. Aber sie  kann sich nur unter Schmerzen bewegen, ihre Wirbelsäule streikt. Nur um mich nicht zu enttäuschen, würde sie reisen. Das kann ich nicht annehmen. Was tun? 

Ich rufe bei meinem Bruder an: Bist du Herr kurzfristiger Entschlüsse?  Am nächsten Morgen, früh um fünf, steht er mit seinem Koffer am Bus.

Wir fahren über Bremen, Amsterdam auf der nördlichen Route; grüne, von Kanälen besäumte  Wiesen, Deiche, Rinder, Schafe. Wir sind im Lande von Maarten`t Hart. Jeden Moment könnte er mit seinem Kahn auftauchen oder über den Deich heran radeln.

Auf dem kilometerlangen Damm zwischen Nordsee und IJsselmeer gibt es einen Aussichtsturm, den wir nicht besteigen, noch nicht besteigen können, Höhe ist nicht unser Ding, daran müssen wir uns langsam gewöhnen. Wasser  vor uns, hinter uns, glitzernd blau unter der Sonne. Sie lässt auch den bronzenen Bauarbeiter, der unentwegt sein  Kopfsteinpflaster verlegt, leuchten.

Rotterdam!   So einen großen Hafen habe ich noch nie gesehen, sagt der Bruder. In sehr kleiner Kabine, mit schmalsten Klappbetten -  wenn du dich umdrehst, knufft dich der Metallrahmen - versuche ich, meinen Atem mit dem Stampfen der Maschine in Einklang zu bringen, irgendwann schlafe ich ein.

 Dann geht es quer durch England, alles ist ganz  vertraut.  Auf der  endlosen breiten North, fällt mir ein, mussten wir vor Jahren in Dunkelheit und strömendem Regen aufgeben und ein Autobahnhotel aufsuchen. Auch der Bruder war schon vor Jahren hier. Er versucht, seine Fünfpfundnote von damals los zu werden. Pustekuchen, der Schein ist verfallen.

Weiter mit der Fähre nach Dublin ins Hotel, altmodisch vornehm, mit Kamin in der Halle, geblümten Tapeten und endlosen Gängen. Richtig, am Morgen finden wir nur mühsam, umwegig  und nachfragend den Frühstücksraum.

Inzwischen ist Lish, die Reiseleiterin eingetroffen. Sie ist vor 50  Jahren durch die Liebe von Holland nach Irland gekommen. Das hätte sie nicht sagen müssen, der uns durch Rudi Carell vertraute Akzent verrät sie. Lish spricht schnell und schrill, sie redet und redet:

 In der ältesten irischen Whiskey Distellery, -wenn du technische Einzelheiten wissen willst, frage meinen Bruder-,  habe ich mir von ihren Erklärungen nur gemerkt, mit dem „e“ vor dem „y“ auf dem  Whiskey Etikett grenzen die Iren, den ihren vom schottischen ab. Das ist nicht die einzige Abgrenzung, wie wir erfahren werden.

Auf der langen Fahrt an die Westküste nach Galway über vierbahnige Autostraßen, die bis 2010 alle irischen Städte verbinden sollen, weil Irland in den letzten zehn Jahren durch Computer-  und Pharmaindustrie reich geworden ist, erzählt sie: Es gibt über 4 Millionen Einwohner, alle gleichberechtigt,  - bis auf donnerstags, da dürfen Frauen nicht auf die Golfplätze.

Lish spricht über die Besiedlung des Landes  7000 Jahre v.u.Z., über eine Landbrücke von Schottland her, über  Kelten, Römer, Sklaven aus Schottland,  plündernde Wikinger und verfeindete irische Stämme, Engländer, Franzosen und immer wieder Engländer. Heute noch missachten die Iren gern Gesetze, auch wenn es jetzt eigene sind  z.B. „Geschwindigkeitsbezirkungen“ wie Lish sagt, weil Gesetze an sich  die Iren immer noch an aufgezwungene Verordnungen der Engländer erinnern.

Sie erzählt von der „nicht kratschigen“ Wolle der Golways, das sind schwarzköpfige  irische Schafe, die uns überall begegnen. Tausend Schafe sollen auf jeden Iren kommen. Die Schafe sind mit Farbklexen gekennzeichnet, jeder Besitzer hat festgelegte und früher hatten sogar alle  Familien ein eigenes Muster für ihre Pullover.

Sie  spricht über die irische Pferdezucht, über die sich die Bauern ärgern, weil die Pferdzüchter nur 10 %  Steuern zahlen  und über die irische Mehrwertsteuer von 21% bei Luxusgütern, dazu gehört auch Toilettenpapier. Da staunst du? Toilettenpapier ist Luxus.  Nach dem Krieg gab es  bei uns keins. Mein Vater hat Zeitungspapier geschnitten, mein Bruder und ich mussten es auf einen Draht fädeln, eine langweilige Arbeit.

 Irland hat am Krieg nicht teilgenommen, kennt aber schlimme Zeiten z.B. nach Kartoffelmissernten in der Mitte des 19. Jahrhunderts gab es hier  schreckliche Hungersnöte. Lebensmittel  sind  in Irland nicht besteuert.

Dichter Verkehr um und in Gallway. Lish lacht: Bei uns heißt es, alle Iren haben vier Autos, die fahren alle vier gleichzeitig und alle in Gallway.

Aus unserem Hotelfenster sehen wir einen Streifen Atlantik. Wer weiß, ob wir dem nochmals so nahe kommen. Lange laufen wir über eine endlose Straße bis zum Strand und ich dann nochmals lange, lange bis mir das Wasser bis unter die Arme reicht, es ist Ebbe. Macht nichts, ich bade im Atlantik. Es bleibt das einzige Bad im Meer bei dieser Reise.

In der Connemara Region  werden Springpferde gezüchtet, die weltweit verkauft werden. Wir erfahren, dass der von Iren in England geraubte  Schafhirte Patrick hier als Sklave schuften musste, bis er nach  Wales floh und Priester wurde. Zurück in Irland,  bekehrte er den irischen König. Dem König  folgten die anderen Iren, ob freiwillig erfahren wir nicht. Heute sind jedenfalls fast 92% der Iren römisch-katholisch.Das ist ein Grund für die zögerliche Zustimmung zum Lissabonvertrag. „Die denken, nun müssen alle abtreiben und sich scheiden lassen!“, sagt Lish.

 Das Kleeblatt, ein Symbol für Irland, wurde von Patrick eingeführt, weil die drei Blätter für die Heilige Dreifaltigkeit stehen sollen. Klee sehen wir weniger, dafür überall die zwei Meter hohen rotblühenden Fuchsienhecken.  In den weiten Tälern vor den Bergspitzen der "Zwölf Brüder"  hängt wabbernd  der Nebel, weiße Wolken. Manchmal tauchen wir ein, dann wieder  umblaut uns sonniger Himmel.

Felsen, Moore,  Salzseen, hin und wieder ein karger Hof! Der  letzte von ihnen hat 1968 elektrisches Licht bekommen.“ Die Hänge nicht betreten“, warnt Lish.  Moos und gelber Stechginster verdeckt gefährliche Felsspalten. „Der Stechginster stecht!“, lacht der Bruder und ahmt seinen Enkel nach. Zahllose Felsmauern begrenzen die Flächen bis hinauf auf die Höhen und bewachen das Vieh. Die bis sechs Meter dicken Torfschichten, manchmal sehen wir einen Torfstich, gehören nicht den Landeignern, sie müssen, wenn du Torf stechen willst, beim irischen Staat gepachtet werden.

Vereinzelt tauchen Hütten mit Reedrunddächern auf. Sie sind nachgebaut. Ursprünglich stammen sie  von den Kelten  und  wurden bis ins 13. Jahrhundert verwendet.

Auf der Fahrt durch die Karstlandschaft zu der über zweihundert Meter steil abfallenden Klippenfront am Atlantik begegnen uns hohe felsige Schutz- und Wohntürme. In den Pfützen auf den Höhenwiesen baden Möwen, dazwischen beeindrucken zahllose von den Eiszeitgletschern  „hinter-gelassene“  Steine. Jetzt weißt du schon, Ausdruck von Lish!

Tief unter im Fjord eine Austernzucht! Einmal im Jahr kommen  Gäste   zum Austernfestival und wählen und feiern die Austernkönigin.

Vorsichtig nähern wir uns den Cliffs of Moher. Im Prospekt liegen Menschen auf dem Bauch und sehen in den Abgrund. Na wir doch nicht! Aber dann wird es doch nicht so schlimm, alles ist gut abgesichert und wir sehen uns das Wunder aus respektsvoller Entfernung an.

Und dann ist da noch Tina in der Nähe der Klippen, sie spielt auf der Harfe, auch ein irisches Symbol, und singt mit kristallklarer Stimme ihre Lieder, von der schönen Molly Mallone, von Irland und der blauen Rose. Ich mag gar nicht weitergehen. Sowieso wird überall gesungen und musiziert, anders als bei uns lebt in  Irland das Volkslied.  

Im Weiterfahren begegnen wir in der weiten Landschaft  vielerorts lagernden Kühen, auf felsigem  Untergrund, springenden Wasserkaskaden, Brücken, Flüssen, bunten Häusern, versiegelten Vorgärten (du weißt, die vier Autos der Iren!), efeuumschlungenen Telegrafenmasten. Die modernen Wagen des fahrenden Volkes stehen immer hinter hohen Zäunen, ich muss an Getto denken. Sinti und Roma aus dem Kosovo, sind hier noch geduldet, wenn auch nicht zu sehr. Klingt da  Alltagsrassismus  durch?

In einer Stadt müssen wir lange warten, eine Rallye „ Schönstes  Auto“ kommt uns entgegen. Die Insassen lachen, winken uns zu, von der Rückbank eine Großmutter, aus dem offenen Dach ein Priester. Auch die Polizisten am Kreisverkehr staunen und vergessen das Einweisen, drei Wagen sausen in die falsche Straße. Irgendwann sind sie wieder da, fahren uns rechts entgegen und vorbei. Der Straßenverkehr läuft links,   das soll auf die Römer zurückgehen, die mit ihren Streitwagen links fahren mussten, um den rechten Arm zum Schwertkampf frei zu haben.

In Limerick werden wir enttäuscht, nirgends auch nur ein scherzhafter Vers zu sehen. Wir erfahren nur, dass eine Dichtergruppe hier mit den Limericks begonnen hat.

Die Straßenschilder sind zweisprachig, irisch und englisch. Irisch ist eine keltische Sprache mit neunzehn Buchstaben, die Kinder, die bereits mit vier Jahren eingeschult werden, lernen sie singend in der Schule.

Wir hören von den irischen Kobolden: Sie sind lieb, aber dumm und wir müssen aufpassen, dass wir sie nicht überfahren!  Im Wald leben Elfen. In Tunneln, darf man sich etwas von ihnen wünschen. Ein Reisender regt sich am Abend auf, er hatte sich vergebens erhofft, keine Stampfkartoffeln mehr essen zu müssen, nun hat er sie wieder auf dem Teller.

Dann gibt es noch den trollartigen Leprechaun. Er ist 2-3 Fuß (60-90cm) groß, trägt grüne Kleidung und hat einen roten Bart. Griesgrämig und scheu, versteckt er sich hinter Büschen, raucht  Pfeife und stellt Schuhe her. Die   Leprechauns sind geizig, ihr Gold haben sie am Fuß des Regenbogens vergraben. Ob das Gold von den Dänen kommt oder ob es durch jahrtausendelange Schusterei verdient wurde, ist unklar. Auch der  Leprechaun ist irisches Wahrzeichen. Diesen Kobold findest du in jedem der zahlreichen Geschenkeläden. Mein Bruder nimmt einen mit. Ich wähle das Schilfkreuz der Heiligen Barbara. Sie hat es angefertigt, als sie zu einem Sterbenden gerufen wurde und kein Kreuz dabei hatte.

Aber ich  bin noch auf etwas anderes aus. Vor fünfzehn Jahren hat mich die praktische Regenkleidung der Schotten begeistert. Mein dort erworbener,  überdimensionaler, karierter Schirm ging  bald kaputt und seither ärgere ich mich. Hätte ich doch einen Regenmantel gekauft!  Und nun ist es so weit, ein riesiger Ständer prahlt mit Regenmänteln in schönen Farben, allen Größen und Formen. Ich kaufe den lange Gewünschten, leider regnet es in den verbleibenden Irlandtagen nicht mehr.

Vor der Toilette spricht mich eine Frau an: Sind Sie deutsch? Ich nicke. Sie lacht und sagt: Ich habe deutsch in die Highscool gelernt. Einen Satz kann ich noch: eine Bleistift ist gelb!  Jetzt lachen wir gemeinsam.

Regen kommt also keiner, dafür werden wir mit Schlössern, Kathedralen und verfallenen Burgen, alle im gleichen grauen Felssteingewand, überhäuft. Vor einer sehr kleinen Kirche  wundert sich der Bruder über die geringe Größe und dann höre ich durch ihn unseren Vater sprechen: „Wenn alle Leute rein gehen, gehen sie nicht alle rein, aber… weil sie nicht alle reingehen, gehen sie alle rein“. Lange habe ich als Kind gebraucht, diesen Satz zu verstehen

 Im Morgenlicht leuchtet das vom Golfstrom verwöhnte Irland in hellem Frühlingsgrün, wir haben September, am Nachmittag setzen sich braungelbrote Herbsttöne durch, meterhohe Bromelien am Wegesrand und immer wieder riesige Yucapalmen lassen uns staunen. Der Rhododendron wächst hier wie Unkraut und der Nationalpark mit seinen uralten Bäumen, riesigen Schwarzkiefern und schlanken Zypressen scheint die Vorlage für ein Gemälde Carl Blechens  aus seiner italienischen Zeit zu sein.

Im Weiterfahren führt uns die Straße nach Kilkenny. Wundersame Landschaft, Meeresdurchblick und steinige Hänge, belagert von kleinen schwarzen Kühen, die mit den Kelten nach Irland kamen, wechseln sich ab. Kommentar von Lish: Ich sag jetzt mal nichts, ich lass Ihnen davon genießen.

Frühstück im Hotel, wie immer gibt es ein reichhaltiges Buffet, ich verzichte auf die verführerischen Fettigkeiten, halte mich an das irische Graubrot und Müsli. Essen Sie zu Hause auch Müsli? fragt die Frau vom Jäger aus Kurpfalz, so nennen wir den heimlich, weil er pausenlos Jagdgeschichten erzählt. Ja, sage ich, aber abends. Kritischer Blick auf meine Hüften, sie scheint das zu bezweifeln.

Heute besuchen wir Margret und Paddy auf ihrer einsamen Farm.  Die Fenster des Cottons gehen alle nach Südwesten, denn alles Böse kommt von Nordosten, von England. Klein sind die Fenster, wegen der früheren Fenstersteuer; Schornsteinsteuer gab es auch. Wir werden mit Kaffee, Kuchen und Guinnessbrot bewirtet. Wir, das sind etwa fünfzig Leute, alle finden irgendwie in den winzigen Zimmern zwischen den zahlreichen Familienbildern Platz. Paddy erzählt stolz seine Familiengeschichte.  Als vor kurzem die 93jährige Großmutter verstorben war, sind 2000 Leute gekommen, sie zu Grabe zu tragen.

Dann  werden wir in die Melkanlage geführt, die wirkt auf mich nicht gerade vertrauenerweckend. Die Kühe sind das ganze Jahr auf der Weide. Nur bei Frost, das sind vielleicht zehn Tage im Jahr, kommen sie in den Stall. Der ist ganz modern, aber mit dem Abtransport der sich türmenden Kuhscheiße, entschuldige das derbe Wort, scheint der Farmer es nicht eilig zu haben. Wenn ich da an den Kult mit Milchkannen scheuern, Seihtücher waschen und Stroh wechseln im Körkwitzer Stall denke, vergeht mir die Lust auf frisch gemolkene Milch. 

Im Weiterfahren schlafe ich ein. Lish Stimme weckt mich. Ich erzähl Sie ein bisch-chen von Geld:

 Ein Arbeiter hat 30 000 Euro im Jahr, eine Krankenschwester 40 000 und Ärzte kriegen mehr als Obama. Der Mindeststundenlohn in Irland beträgt 8,55 Euro, Fremdarbeiter  (sie benutzt tatsächlich dieses Wort)  bekommen 3 bis 4 Euro. So, so, war nicht kürzlich von Gleichberechtigung die Rede?

Wie ist es mit der Rente?  Wer gearbeitet hat, bekommt 229 Euro in der Woche, wer zu Hause war erhält 10 Euro weniger, für Heizung gibt es 15 Euro dazu. Telefon, Elektrizität sind billiger für die alten Leute, Fernsehen und Fahrten innerhalb des Landes gibt´s kostenlos für irische Rentner.

 Krankenkasse ist für alle frei, die weniger als 20.000 Euro im Jahr verdienen oder wer 70 Jahre alt wird, braucht nichts mehr  zu bezahlen. Allerdings kann, wer mehr als die Grundversorgung möchte,  eine Zusatzversicherung abschließen, Mittelklasse für 75 Euro im Monat. Aha, also auch eine Mehrklassenmedizin. Ich mag nicht mehr zuhören, beobachte lieber die Dohlen hinter den Erntemaschinen und auf den Leitungen. Dohlen sind  hier so zahlreich wie bei uns die Krähen.

Und ich erfreu mich am funkelnden Altweibersommer über  den Hecken. Als Kind fand ich dieses Wort beleidigend. Heute denke ich, sieh mal  an, ist doch noch was schön am Altweiberlichen.

Und der Konflikt Nord – und Südirland, Protestanten und Katholiken?  Glaube nur nicht, dass es da wirklich um Religion geht. Religion ist wie anderswo nur der Vorwand, mit dem sich Menschen manipulieren lassen, es geht auch hier um Machtinteressen. Die meisten Iren möchten gar nichts mehr davon wissen und das große Entsetzen über Bombenattentate in Nordirland ist abgestumpft. Du hast wohl seit den 70iger Jahren die Entwicklung in Irland selbst beobachtet.

Ob sich die Menschen wie bei uns im lange geteilten Land auch so sehr voneinander entfernt haben? Ich weiß es nicht.

Dublin, die Hauptstadt der irischen Republik, hat 500000 Einwohner. Lish zeigt uns  gregorianische Backsteinhäuser. Große halbrunde Glasfenster über  den  farbigen Türen zur Flurbeleuchtung sind „unterverteilt“, sagt sie, weil  großes Glas zu teuer war. Die Türen sind farbig, jede anders, damit die Männer, wenn sie abends aus dem Pup kommen, das richtige Haus finden.  Die Backsteine kamen als Ballast aus Deutschland und Holland, sie wurden  zurück gelassen, wenn die Schiffe nach Amerika ablegten, nachdem sie Proviant aufgenommen hatten.

 Wir treffen auf die schöne bronzene Molly Malone, von der Tina am Kliff sang. Am hochrädrigen Karren bietet sie Herz- und Miesmuscheln an und ärgert die frommen Katholiken mit üppigem Busen im großzügigen Ausschnitt. Es gab heftigen Streit um diese Bronze. Ja wie sollte sie sonst gekleidet sein, hat sie doch zu Lebzeiten des Abends „zuverdienen“ müssen, um ihre Existenz zu sichern.

Den Mittelpunkt der Stadt kennzeichnet eine riesige Nadel, etwa 150 Meter hoch, du musst dir den Hals verrenken, wenn du davor stehst. Der Bruder stöhnt, als er sie von unten nach oben mit der Kamera erfasst: Ich fall bald um!

Die große steinerne Justizia dreht der Stadt den Rücken zu, wieder so ein Seitenhieb gegen die Engländer, die den Iren weitgehend die Rechte genommen hatten.

 Allgegenwärtig thront  am Fluss die Guinnesfabrik  über der Stadt, und wenn sie nicht zu sehen ist, bringt sie sich mit Sicherheit durch riesige Guinnestankwagen auf Dublins Straßen in Erinnerung.

In die St. Patrick Kathedrale gehen wir nicht, wir sind besichtigungsübersättigt, streifen lieber durch den Park und sehen uns die Mauer  mit den Gedenktafeln von Shaw und Wilde an.

 Auf freiem Feld am Rande der Stadt, finden Großveranstaltungen aller Art statt. Das  überdimensionale Kreuz wurde 1979, als der Papst hier war, aufgestellt. Als ob ich es mir nicht gedacht hätte! Nun denk bloß nicht, ich hätte etwas gegen Religion. Wenn sie den Menschen eine Lebensform anbietet, ohne sich als allein selig machend  darzustellen, ist  das schon in Ordnung.  

Gestern Abend gab es hier ein Popkonzert. Die großen Scheinwerfer mit ihren Generatoren sind noch da, die transportablen Toiletten auch, aber verschlossen.  Was bleibt uns anderes übrig, mit meiner Busnachbarin verschwinde ich hinter einer Buschgruppe. Das ist das einzige Mal in Irland. Sonst ist für dieses Bedürfnis bestens gesorgt, auch in England und in den Niederlanden, erst in Deutschland wird wieder angestanden und bezahlt.

Ein schickes altes Hotel gehört zwei Leuten einer Popgruppe. Der Sänger Bono wohnt hier, oben im Penthaus, wenn er denn da ist. Wir gehen ins Restaurant, essen Fisch und Chips mit Messer und Gabel, aber  sonst stilecht aus  der  Zeitung. Heimlich macht der Bruder seine Aufnahme für seine Schwiegertochter  Antje, die ein Fan von  Bono ist.

Am nächsten Tag verlassen wir mit der Fähre den Hafen von Dublin. Der Bruder steht an der Reling und summt ein irisches Volkslied, dass es eins ist, haben wir hier erst erfahren. Du kennst es auch. Es ist bei uns mit verändertem Text zum  Schlager umfunktioniert worden: „ An der Nordseeküste, am plattdeutschen Strand, sind die Fische im Wasser….“.

Im Bus  hören wir lieber Tinas Version und noch einmal  das Lied der Molly Malone. Zeit haben wir genug. Wenn wir in zwei Tagen wieder in Rostock sind, werden wir  3582 Kilometer mit dem Bus hinter uns gebracht haben.


Ostern 2008

Mit großen Schirmen bestückt spazieren wir durch die Gärten der Welt. Antje hat sich einen  Mutter-Tochtertag gewünscht und wir genießen das. Auf das Wetter nehmen wir keine Rücksicht,  lauschen der Windmusik im balinesischen Garten, lachen über die schlurfenden Dämonen, die nicht über die Schwellen der koreanischen Höfe gelangen können, erleben die Energiewellen am japanischen steinernen Wasserfall,  lassen uns auf die Aussicht bis ins Brandenburgische ein, kosten vom Lotos Tee,                                                 behalten hinter den hohen Taxushecken des englischen Irrgartens die Orientierung, werden vom orientalischen Sandelholzduft eingehüllt  betrachten schadenfroh die rot Beschirmten, die nun erst aus dem Irrgarten finden,bewundern die phantasievollen Wasserspiele             und lassen uns zuletzt vom Inder in Neuenhagen bewirten.  Dann reist Antje wieder ab und ich erinnere mich.

Ähnlich ungemütlich war das Wetter Ostern vor gut zehn Jahren auf Mallorca. Irgendwo müssen Aufzeichnungen sein:

Cala Ratjada ,3.4.1996

Wir hätten auch nach Norwegen fahren können, sagt Peter und zieht seinen Pullover an. Es regnet und 12° C sind weniger als wir von Mallorca erwartet haben.

Große Wellen drücken in die Bucht, einige Ausläufer lecken über die Stufen am Tauchclub. Grau mischt sich mit Türkis und Weiß der Gischt. Hundert kleine Sturzbäche rinnen den Wellen nach und aus der Plattform sprudeln winzige Fontänen. Der benachbarte Berg verschwindet hinter aufsprühenden Wasserschleiern.

Hafenmauer, nachmittags. Sonne hat die Kaimauern getrocknet, Fischerkähne schaukeln sanft, die Takelagen der Jachten klappern eine eintönige Windmusik.Das Glasbodenboot ist eine Enttäuschung. Es gibt nur ein schmales Fenster. Ich sehe den Meeresboden und einen Fisch.Auf dem Ankerplatz flicken die Fischer ihre blauen Netze, bevor sie sie auf  zweirädrigen Karren abtransportieren.

Schlangenhalstaucher und Kormorane fischen im klaren Wasser. Elegant, scheinbar fliegend gleiten sie in der Tiefe des Hafenbeckens.Eine Katze rekelt sich und ein Vater fährt mit seiner Tochter, auf einem winzigen motorisierten Roller stehend, vorbei.

Prozession, Karfreitag

Frauen und Kinder in roten Umhängen, spitzen Kapuzen und Riesenkerzen geben den gespenstischen Rahmen. Unheimlich bedrängen uns ihre Augen hinter Sehschlitzen, Mittelalter scheint nah! Weiß gekleidete Kinder eröffnen den Zug, gefolgt vom dumpfen Trommelschlag eines seltsam sich wiegenden Blasorchesters. Dicke Frauen schleppen die Jungfrau Maria aus der Kirche. Ganze Familien reihen sich ein in den schwingenden Zug. Ich begreife, warum die Raupen mancher Nachtschmetterlinge Prozessionsspinner heißen.Ein sechszehnjähriger Mitreisender plappert respektlos: Was ist denn das für ein Satanskult?

Rundfahrt, Ostersonntag. Mit einem Mietwagen erkunden wir die Insel.                                                                                 Pinienwald, winzige lila Gänseblümchen grüßen uns. Wir suchen uns einen stillen Platz mit feinem Sand. In einer großen Klippenmulde stochert Peter nach Seeigeln und Schnecken.  Kurzbesuch in einer Keramik-Werkstatt, die wird wahrscheinlich nur vom eigenen Staub zusammengehalten.    Im Feuchtgebiet weiden Rinder und Pferde, ihnen folgen zahlreiche Wasservögel. In den Wassergräben entdecken wir  riesige Forellen.                                                                                                                                                       Mittagsschlaf in einer schönen Bucht, dann geht es die schmale kurvenreiche Straße hinauf nach Formentor. Ich kämpfe mit der Höhenangst, kann auf die gewaltigen Steilwände bloß in Beklemmung sehen. Nur auf dem breiten Platz am Turm fühle ich mich sicher, wage Blicke in die Runde und bin überwältigt von der Aussicht.                                                                                                 Abends, Lammbraten beim Halsabschneider, so nennen wir heimlich unseren Wirt, einen geschäftstüchtigen Deutschen. An den weiteren Tagen gehen wir in eine spanische Garküche, da weiß man was man für sein Geld bekommt, so wie heute mit Antje beim Inder in Neuenhagen.


Begegnungen

Vor einigen Jahren waren etliche Chormitglieder gemeinsam in der Türkei. Wir haben am

 17. INTERNATIONAL OPERA & BALETT  FESTIVAL teilgenommen unter Simon Halsey, um gemeinsam mit dem Berliner Rundfunkchor, zwei türkischen Opernchören, Orchester  und 400 Laiensängern im Aphitheater von Aspendos Carmina Burana zur Aufführung zu bringen. Ute G. hatte für uns eine erlebnisreiche Reise organisiert.  Daran anknüpfend   reisten Martina H. und ich im folgenden Jahr nach Lykien  zu den christlichen Denkmälern Kleinasiens mit den Stationen Antalyia, Demre - Fethiye, Karien –Dalyan, Epheseus , Aphrodisias, Pamukkale - Taurusgebirge, Anthalya.

lhan, der Reiseleiter erzählt uns von Steinadlern, Wildschweinen, Wölfen, Füchsen, Braun-und Graubären in der Türkei, auch von Taurusböcken mit groß geschwungenem Gehörn. Außer einem Adler sehen wir davon nichts.Ziegenherden begegnen uns. Sie weiden allein in den Bergen, ob wilde Taurusböcke dabei sind, erkennen wir nicht.

Es ist kurz vor dem Opferfest, die Ziegen werden von ihren Hirten abgetrieben. Diese haben einen speziellen Pfiff, nur auf diesen reagieren die eigenen Tiere. Später sehen wir Ziegen und Schafe in engen Pferchen aus denen sie zum Kauf angeboten werden. Mit ausdauerndem Händeschütteln wird um den Preis gefeilscht. Zu Hause wird geschlachtet und man isst davon in der Großfamilie und mit Freunden. Ilhan sagt: Die Krankenhäuser sind nach dem Selbstschlachten voll mit „geschnittenen“ Händen und Füßen.

Als wir mit einem Fischerboot durch die Lagune von Dalyan fahren, die antiken Reste der Stadt Kaunos mit ihren Felsengräbern bewundern , sehen wir im winzigen Glasbodenfenster unter uns einen respektlosen dicken Barsch aus einer Amphore zwischen anderen antiken Überresten schlüpfen.

Der Strand, den die Caretta- Meerschildkröten zur Eiablage nutzen, zeigt nur zierliche Krabbenfußspuren, kein Lebenszeichen von Schildkröten. Einzig ein dunkler Suppenterrinen-großer Schatten wird später vom Boot aus sichtbar, weil jemand die Caretta für uns Touristen mit einem blauen dicken Krebs angelockt hat.

Dagegen läuft sehr sichtbar in Antalya ein Pferd ganz allein vor unserem Bus auf einer Hauptstraße entlang, hoffentlich kommt es unbeschadet davon!

Leider ist das für die vielen Katzen und Hunde, die frei leben, nicht zu erwarten. Die Hunde leben am Tage eher scheu und versteckt. Die Katzen aber begegnen uns an allen Plätzen, die von Besuchern aufgesucht werden. Sie scheinen zu ahnen, dass sie hier eine Chance zum Überleben haben. Auch wir füttern sie heimlich mit Brocken vom üppigen Büfett. In den Ruinenstätten treffen wir sie malerisch postiert, Statuen gleich, auf Mauern und Säulen. Ein Mann streut ihnen Katzenfutter aus. Wir, schlecht informiert, haben leider nichts dabei. Jemand meint, es sei falsch die Tiere zu füttern und eine Frau scheucht sie unter ihrem Tisch hervor und davon. Uns ärgert das. Nur einmal sehen wir im Park eine Spendenbox. Natürlich wäre ein Programm zur Kastrierung der herrenlosen Tiere die richtige Maßnahme, dazu fehlt es augenscheinlich an Geld.

Wir fühlen uns hilflos, sind traurig. Eine sehr scheue magere junge Katze bringt mich dazu, am Kaffeestand etwas Milch zu entwenden, mit Wasser zu verdünnen und der Katze hinzustellen. Sie kommt, trinkt ausgiebig, für heute ist ihr Überleben gesichert

 

   

 

 „Teşekkür ederim!“   -   „Danke schön!“    

Immer wieder einmal höre ich bei uns in Deutschland: „ Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber ….“ und dann folgt eine abwertende Bemerkung, ein Vorurteil.

Auf unserer letzten Reise begleitete uns Ilhan. „Sehen Sie mein Gesicht an“, sagt er, so sieht ein typischer Türke aus!“ Ja wie denn? Er hat das breite Gesicht seiner seldschukischen Vorfahren aus Zentralasien und Westchina. Die bei uns häufiger bekannten schmalen Gesichter der Kreuzberger Türken haben ihre Wurzeln eher in Kleinasien. Zunächst irritiert Ilhan uns mit seinem ständigen: „Passen Sie auf!“ und seiner immer wieder kehrenden Floskel: „ Wie heißt das?“, die er als Lückenfüller benutzt wie mancher von uns ein langgezogenes  „ähh“. Aber was er mitzuteilen hat, hat es in sich und ich wünschte unsere Deutschen „ich hab ja nichts gegen Ausländer, aber…“ könnten es hören.

Die Türkei hat 18% Analphabeten, die durchschnittliche Schuldauer liegt bei 6,7 Jahren. 98% der Türken sind Muslime. Der Koran ist arabisch geschrieben und kann von den meisten nicht selbst gelesen werden. So ist es leicht, die einfachen armen Menschen, die sich vom Jenseits viel erhoffen, zu manipulieren.

Die offiziellen Imame aus Ankara halten in den Moschen keine politischen Reden, dürfen es nicht.Es sind die Hassans (ob das eine offizielle Bezeichnung ist, weiß ich nicht), die etwas schlauer als die übrige Dorfbevölkerung, die Menschen beeinflussen, schamanenhaft, gebetsmühlenartig. Sie machen ihre eigene Politik:                                                                                                                         Du darfst deine Tochter nicht zur Schule schicken, du musst sie beizeiten verheiraten, lass sie nicht ohne Kopftuch unter die Menschen. Wenn sie gegen deine Ehre verstößt, musst du sie hart bestrafen. Diese Hassans sahen ihre Macht schwinden mit der auswandernden armen Landbevölkerung. Also sind sie denen gefolgt, haben unkontrolliert Moscheen gebaut, suchen ihren Einfluss zu bewahren und den toleranten Kurs der Imame aus Ankara zu untergraben. Wenn wir hier bei uns von Zwangsheirat oder Ehrennmord hören, stecken mit Sicherheit die Hassans dahinter.

Gegen die fünf Gebote des Korans braucht man keine Einwände zu haben.

  1. Bekenntnis: Du sollst von Herzen an Gott glauben
  2. Ritualgebet: Du sollst fünf mal täglich beten
  3. Almosen: Wenn du reich bist, sollst du bei all deinen Geschäften 2,5% den Armen geben
  4. Ramadan: Du sollst dreißig Tage von Morgen bis Abend fasten
  5. Pilgerreise: Ein Vertreter Deiner Familie soll einmal im Leben nach Mekka gehen

Es gibt kein Kopftuchgebot, das Tuch war ursprünglich als Schutz bei Karawanen gedacht. Alles darf gegessen werden, wenn du in Not bist, aber das fette Schweinefleisch ist im heißen Klima ungesund. Wie auch die Beschneidung der Vorhaut und die Waschungen ihre hygienischen Begründungen haben.

Ilhan fordert uns auf, dem Gesang der Muezzins zu lauschen und die Vielstimmigkeit zu erfassen.

Er erzählt von Atatürk, dem Begründer und großen Reformer der türkischen Republik, der im Land sehr verehrt wird.

Mit welcher Hochachtung die Türken den Müttern und den älteren Frauen, auch uns, begegnen ist beglückend. Davon könnten die Deutschen sich getrost ein bisschen abgucken. Und wie ich den liebevoll stolzen Umgang unseres Ilhan mit seiner modern gekleideten Frau und seinen drei Söhnen am letzten Tag unserer Reise erlebe, kann ich nur sagen: „Teşekkür ederim Ilhan, danke Türkei!“    

        

Türkische Hochzeit

„Güneiden“, guten Morgen begrüßen wir am Morgen Ilhan unseren Reiseleiter und er sagt jeden Tag etwas abgewandelt „Achtung, Achtung, Hochachtung! Trinken Sie Granatapfelsaft und Sie werden zehn Jahre jünger! Nutzen Sie das Thermalwasser und Sie werden zehn Jahre jünger! Atmen Sie tief die Meeresluft und Sie werden zehn Jahre jünger!“ Jeden Morgen neue Verjüngungsvorschläge. „Aber Ilhan, am Ende sind wir gar nicht mehr da!“ Da antwortet er: „Doch doch, denn ich bin in Wirklichkeit schon 799 Jahre alt!“

Wenn wir losfahren erkundigt er sich: „Fehlt jemand?“ Martina antwortet: „Nur ein paar Zähne!“ Nach einer Gesundheitspause, so nennt er den obligatorischen Toilettenstopp, meint er: „16.00 Uhr, ein guter Türke muss jetzt beten, ein schlechter ist Reiseführer!“ Und schon erzählt er wieder Geschichten von seinem Land, von seinem Volk, von seinem Großvater in Kapadokien.

Er zeigt uns in Kusadasi die neuen Häuser, Rentnerparadies der Engländer. Die dazugehörigen Rentner erkennen wir abends im Hotel an ihren Frauen, fett, abwegig gekleidet und von erstaunlichem Selbstbewusstsein.

In Pamukkale erblicken wir die Kalksteinterrassen nur von unten, davon sah ich schon vor Jahren großartige Bilder nach Erikas Reise. Ihre Schwärmerei hatte ich jahrelang im Kopf. Martina lacht. „Jetzt wolltest Du beeindruckt sein und nun geht´s nicht!“ Aber das ist nicht selten, nicht immer stimmt die Wirklichkeit mit unseren Vorstellungen überein.

Ilhan muntert mich schnell wieder auf mit seinen Olivenbäumen im Meandertal, deren Öl dich zehn Jahre jünger macht.

Und endlich beantwortet er auch die Frage nach seiner eigenen Brautwerbung. Immerhin hat er schon einige Male von den Versuchen seiner Tanten und der Mutter erzählt, ihn zu verkuppeln. Er aber wollte das Schwiegermutterproblem lange nicht lösen.

Unter einem Vorwand wurde er ins heimatliche Dorf gelockt und wie aus Versehen tauchte eine junge Schöne auf, die artig zwischen Wohnzimmer und Küche hin und her eilte. Seine Mutter umkreiste ihn, war äußerst unruhig und er fragte sie: Mama, warum klebst Du so an mir dranne? Das Mädchen setzte sich zu ihm auf das Sofa. Er wollte nicht unhöflich sein, blieb sitzen. Umständlich erklärte er, dass er als Reiseleiter wenig Zeit habe, dauernd unterwegs sei. Sie aber schien das nicht zu stören, erkundigte sich nach seinem Leben, nach seinem Verdienst. Jede abwehrende Bemerkung überhörte sie, lächelte und lächelte. Er flüchtete in die Küche. Die Mutter scheuchte ihn und sagte: Guck sie Dir gut an, sie ist sauber und fleißig! Schließlich verließ Ilhan entnervt das Haus. Hat sie Dir nicht gefallen? Du hast sie nicht richtig angesehen! Bist Du etwa nicht gesund, weinte die Mutter ins Telefon. Mach Dir kein Problem, Mama, ich bin ein Kernkraftwerk, die Zeit wird kommen!

Und sie kommt. Bei einer Reise lernt Ilhan eine junge Deutsche kennen. Der Flieger war verspätet angekommen, die Reisenden müde und knurrig nur diese eine begrüßte ihn lächelnd: Schön guten Morgen Herr Reiseleiter! Zwei Tage später macht er ihr einen Heiratsantrag ,Du bist verrückt, ihre erste Antwort. Doch dann kommt alles in die Reihe. Wie es sich für türkische Verhältnisse gehört, macht er in Deutschland seine Aufwartung bei ihren Eltern. Er erklärt uns, dass selbst Helmuth Kohl vor Jahren heimlich nach Ismir gekommen ist, für seinen Sohn zu werben, obwohl der schon neun Jahre mit seiner türkischen Freundin zusammengelebt hatte.

Als Ilhan sagt: „Es wurde nur eine kleine Hochzeit, 70 bis 80 Leute“, da lacht die ganze Reisegesellschaft auf – bei uns wäre eine kleine Hochzeitsgesellschaft zwischen 6 und 15 Leute, oder? Da blickt er uns erstaunt an und erklärt, was in der Türkei  große Hochzeit heißt. „Es kommen alle Freunde und Verwandte und die wiederum bringen ihre Freunde und Verwandte mit, die man selber gar nicht kennt. Mama wollte das ganze Napfkuchengeschwader einladen, so etwa 800 Leute! Na stellen Sie sich vor, die arme Braut wartet an der Tür. Jeder gibt ihr Küsschen, 800-mal rechts, 800-mal links beim Kommen. Beim Gehen wieder so, 800-mal rechts und 800-mal mal links, macht zusammen 3200 Küsschen.“ Verschmitzt setzt er hinzu: „Da wär die arme Frau schon halb verbraucht!“               

  

Die Sache mit der Freundlichkeit

Als wir in Schönefeld ordentlich eingereiht am Abfertigungsschalter warten, drängt sich eine Frau ohne Gepäck  von der Seite an uns heran. Beim Vorrücken heben wir den Koffer, diesen Moment nutzt sie, schiebt sich vor uns und ruft nach ihrem Mann. Er eilt herbei, knallt seinen Koffer vor unsere Füße. Ich bin sprachlos. Martina schüttelt den Kopf und sagt nur: „Lass es, solche Leute sind so!“, als ich meinen Mund öffnen will.  Im Transitraum suchen wir nach einem entfernten Platz und wünschen uns, hoffentlich gehören die nicht zu unserer Reisegruppe! 

Damit haben wir Glück, wie auch meistens  mit unseren Reisegefährten. Ein Herr  allerdings ist dabei, der anscheinend recht belesen ist und sich mit der Antike auszukennen scheint. Der kann nicht einfach anhören was uns Ilhan erzählt, er muss dem ins Wort fallen und seine belehrenden Weisheiten loslassen, peinlich und lästig. Ilhan nimmt`s gelassen, lächelt rätselhaft und erzählt weiter. Er ist ein sehr höflicher Mensch unser Reiseleiter.

Wir kommen an die türkische Ägäis, hoch  auf den Klippen unser Hotel. Das Meer lockt.  Von der 3. Etage kommend, steige ich in den Fahrstuhl. Ein deutscher Gast schimpft: „Früher hat man erst aussteigen lassen“, verlässt mit seiner Frau mich anrempelnd den Fahrstuhl. Jetzt erst  sieht er, er ist noch nicht am Ziel und kommt, seine Frau hinter sich her ziehend zurück. Keine Martina dabei die mich bremst und lächelnd sage ich: „ Früher hat man geguckt wo man ist, bevor man aussteigt und völlig unnötig Leute anmuffelt!“ Darauf erhalte ich keine Antwort.

Um die lange steile Treppe zu meiden, folge ich einer serpentinenreichen Straße hinab. „Wo geht es an den Strand?“, frage ich an einem Kaffeestand. Es wird mir ausführlich erklärt, ich gehe weiter. Da bremst neben mir ein Lieferwagen, ein junger Türke öffnet die Tür, lädt mich zum einsteigen ein und fährt mich bis an den Strand. Verwundert schauen die Badegäste, stolz steige ich aus dem Auto. Ich gehöre in das Mütterschema der türkischen Männer.

Unfreundlichkeit begegnet uns erst wieder beim Rückflug.  Eine Mutter lässt ihr etwa fünfjähriges Mädchen durch den Gang sausen, das würde ich tolerieren, ein Kind kann nicht stundenlang still sitzen. Das Kind wird laut, die Mutter kümmert sich nicht, es kann hier nicht verloren gehen und sie hat ihre Ruhe. Dann aber geht die Kleine auf meinen Nachbarn los, streckt ihm aggressiv und lange die Zunge heraus. Der Mann sagt nichts, mir platzt der Kragen. „ Das lässt du, das gehört sich nicht!“, sage ich energisch. Jetzt bläkt sie auch mir die Zunge, ich drohe mit dem Zeigefinger. Laut heulend rennt sie zwanzig Reihen nach vorn zur Mutter, beschwert sich, zeigt sich umdrehend wütend auf mich.  Die Reaktion der Mutter kann ich nicht sehen.  Aber jetzt  ist Ruhe.

War ich hier die Unfreundliche?              (Okt.2012)                                                                                     

    

 

 Moderhinke

In der Nähe von Teterow am Rande der mecklenburgischen Schweiz liegt ein kleines Gutsdorf, Tellow. Vor hundert Jahren hat hier Johann Heinrich von Thünen ein Mustergut aufgebaut. Bis heute sind die Spuren des erstaunlichen Menschfreundes erkennbar. So hat er seine Gutsarbeiter am Gewinn beteiligt und dafür gesorgt, dass sie sich eine Altersrente erarbeiten konnten. Als er 1848 Ehrenbürger der Stadt Teterow wird, antwortet er: „Das Wohlwollen der Menschen kann durch kein Gebot erzwungen, nicht durch Rang und Stand erlangt, nicht durch Gold erkauft werden, das Wohlwollen entsprosst dem freien Innern und ist als freie Gabe von unschätzbarem Werthe für den, der sie empfängt.“

Wir ehemaligen Güstrower Studenten wohnen in der zum Gästehaus umgebauten Schnitterkaserne, frühstücken im Kornspeicher, besichtigen die Neubauernhäuser und das alte Gutshaus, lassen uns die Thünschen Ringe erklären, das sind Wirtschaftskreise rund um eine Stadt, die die Landwirtschaft lohnend machen, laufen durch den Gutspark, bestaunen Wein- und Eiskeller und schauen vom Kegelberg ins Land.

 Immer führt uns der Weg an  einer Koppel vorbei. Hier steht eine kleine Herde von Schafen und Ziegen. Nähern wir uns dem Zaun, begrüßen uns die Ziegenlämmer mit dünnen hohen Bäh-lauten. Holperstolprig kommen sie heran und lassen sich kraulen, die Mütter folgen bedächtig. Sie erwarten von uns, obwohl sie das alles selbst auf der Weide haben, mit Butterblumen und Gräsern aus der Hand gefüttert zu werden. Die Schafe heben nur ihren Kopf, dann grasen sie weiter. Bald haben auch die Ziegen genug von uns, begeben sich zum Teich, trinken. Die Zicklein, tollpatschig, rutschen ab und sind schon wieder mit einem Satz aus dem Wasser, sie rütteln und schütteln sich, stehen in feinem Tropfenschleier. Nun nähert sich die Schar einem überdachten Heuwagen. Die große Braune springt mit einem Satz hinauf und frisst wie im Scharaffenland, eine zweite landet mit Anlauf auf dem Schrägdach und zupft von oben die Halme heraus. Die Gescheckte frisst mit aufgerecktem Hals vom Boden aus.  Jungtiere stellen sich auf die Hinterbeine, eins springt der Gescheckten auf den Rücken und versucht, sich von dort auf den Wagen zu hangeln, rutscht ab und macht einen zweiten Versuch, dieses Mal klappt es. Inzwischen suchen auch die Schafe, ihren Anteil zu ergattern. Das passt dem Ziegenbock nicht, er greift erst das eine rempelnd, dann das andere mit einem Kopfstoß an. Das erste Schaf trottet, das zweite humpelt davon. Ist es verletzt? Immer wieder steht es reglos, dann hinkt es zwei Schritte, steht. Ist sein Bein gebrochen? War die Rempelei zu heftig? Offensichtlich hat es Schmerzen. „Das ist Natur“, will mich Sigrid beruhigen.

   Der Bauer fährt mit seinem Traktor vorbei, aufgeregt halte ich ihn an. „ Moderhinke“, sagt der Bauer, „das Schaf hat Moderhinke, eine Entzündung zwischen den Klauen. Das kommt von Bakterien im Boden. Heute noch werden deshalb die Hufe beschnitten. Ein wirksames Mittel gibt es nicht. Für ein halbes Jahr muss die Weide gemieden werden, dann sterben die Bakterien ab.“ Ich bin zufrieden, dem Schaf wird geholfen, es lag nicht an dem kessen Ziegenbock.

War es richtig, sich einzumischen? Wie hätte ich abreisen können mit dem Gedanken, da quält sich ein fühlendes Wesen?

 

Lebensbäume

Der Ahorn vorm Haus öffnet zartgrüne Knospen, schiebt winzige Blütenbüschel ans Licht. Das war gestern. Heute recken die Blättchen ihre ausgespitzten Spreiten.

Bäume sind Symbole des Lebens.   In   allen  Kulturen werden sie verehrt. So wie der Baum bei den Kelten bereits vor 3000 Jahren für Wachstum, Heilung, Weisheit stand, gilt er im Islam als Sinnbild des Glücks, wird er in der hebräischen Tradition als  Lichterbaum verehrt, gilt er bei den Christen als Baum der Erkenntnis von Gut und Böse, findet er sich bis in unsere Tage in den Dörfern als Maibaum.

Als ich den Großvater nach den spitzkegeligen, schlanken,  zwanzig Meter aufragenden Bäumen fragte, begriff ich nicht, warum sie, am Grab meiner Oma wachsend, Lebensbaum heißen und zugleich  für Trauer stehen. Verstehe ich es denn heute? Mir kommt eine Ahnung, wenn ich im ständigen Wachsen und Vergehen eine Hoffnung sehe, die in den Bäumen wurzelt.

Ich habe mir Lebensbäume ins Haus geholt.

Der schönste ist eine lichtdurchflossene Linde, die ein filigranes Schattenspiel auf den Boden wirft, durch das ich in Umarmung mit meinem Mann aus dem Bild schreite,

dazu der feine Seidenteppich aus Istanbul, der im maurischen Fenster Löwen, Hasen , Affen und Pfauen zeigt, die friedlich einen Baum bevölkern,

das ägyptische Papyruskalenderblatt mit farbenfrohen Vögeln im Blattwerk einer Esche,

die mühevolle Kreuzsticharbeit mit Maus, Fuchs und Eichhörnchen auf knorriger Eiche,

die israelitische Menorah, der Lichterbaum.

Ein besonderes Zeichen gibt es außerhalb meines Lebenskreises. Wir pflanzten vor einigen Jahren einen Baum in Israel. Seit 1901 gibt es dort eine Initiative, die das Ziel  hat, die vernachlässigte Landschaft neu zu beleben. Über zweihundert Millionen Bäume wurden seither gesetzt und verwandeln kahle, felsige Hügel in grüne Wälder. Jeder Baum wurde von einem anderen Menschen gepflanzt, einer nun von uns.   Dieser Baum ist Hoffnung nicht nur für unseren Setzling, der  groß und kräftig werden möge, er ist Bitte, dass alle Menschen im Land Israel erkennen mögen, dass sie im Miteinander ausreichend  Wasser, Nahrung und  Platz hätten. 

„Die wir hier heute pflanzen,mögen sie Wurzeln schlagenUnd zu großen, kräftigen Bäumen heranwachsen.

Inmitten der Bäume im Land gib Kraft, o Herr,all denen, die das Land bebauen

und ihrer Hände Arbeit segne,auf das die Öde wieder blühe und fruchtbar werde.“

heißt es auf unserer Urkunde. Die dazu gehörige Anstecknadel zeigt einen symbolischen Lebensbaum mit hebräischen Schriftzeichen. Ich wünsche mir, in absehbarer Zeit erneut nach Israel zu reisen, unseren Baum und alle Stätten des widersprüchlichen, geschichtsträchtigen,  wundersamen Landes ohne nach wie vor  bekümmernde Gegensätzlichkeiten wieder zu sehen.

 

 

Trink etwas heißes,

sagte der Großvater, wenn ich ausgedörrt vom Spiel in der heißen Sonne zurückkam, das löscht den Durst am besten.

Da hatte ich meine Zweifel, ließ das Wasser laufen bis es kühl war, bevor ich es mir ungeschickt direkt in den Mund laufen ließ, Gesicht, Hals Bluse wurden nass. Der Großvater lachte.

Zu allen Mahlzeiten wurde bei uns schwarzer Tee getrunken, gelb bis braun. Warum nannten ihn die Erwachsenen dann schwarz? Für mich war er ein bitteres Übel.  Wenn ich konnte, holte ich in einem unbeobachteten Moment das Tee-Ei  schnell aus der Kanne, so dass der Tee  bleich blieb. Der Vater schimpfte. Ich verstand nicht warum mein Gebräu bei  ihm keine Anerkennung fand, mir jedenfalls schmeckte nur dieser helle Tee.

Inzwischen habe ich von anregender oder beruhigender  Wirkung des  Tees bei längerer oder kürzerer Brühzeit  gehört, ausprobiert habe ich das nie.  Tee wurde mir so verleidet wie die von der Mutter als „besonders gesund“ gelobte Kohlsuppe.

Aber meine Tochter zelebriert verschiedenste Tees aus unterschiedlichen Teekannen, vielleicht weil wir sie nicht mit dem bitteren schwarzen Tee traktiert haben.

Der Sohn  trinkt lieber Bier , verblüffte uns aber als fünfjähriger, weil er sich kalten Früchtetee in Flaschen füllte und die  mit zum Spielen nahm, bis wir  feststellten, dass er Tee für 10 Pfennig pro Becher an die anderen Kinder im Hof verkaufte. Ich fand das peinlich. Zum Glück blieb das allerdings sein einziger Versuch, mit windigen Geschäften Profit zu machen.

Mitte der 90iger Jahre  reisten wir nach China. Wir probierten wir am Pekinger Naschmarkt geröstete Heuschrecken am Spieß und auch aufgespießte Froschschenkel. Während erstere vorzüglich mundeten, kosteten mich die letzteren große Überwindung. In den Restaurants lernten wir die Küche der verschiedensten Regionen des Landes kennen, beeindruckend, schmackhaft und nicht zu vergleichen mit dem, was uns zu Hause als chinesische Küche angeboten wird.

Und dann der Tee! Ein Jahr dauert die zusätzliche  Ausbildung der Kellner, die Tee ausschenken dürfen.   Quer über den riesigen runden Tisch lenken sie aus großen Kupferkannen mit meterlanger Tülle den Teestrahl in die Trinkschalen. Kein Tropfen geht daneben.  Im  durchsichtig feinen  Porzellan schimmert der goldgelbe intensiv duftende  Jasmintee,  das  köstliche Getränk,  das einst nur den chinesischen Kaisern vorbehalten war.

Das Thermometer zeigt in diesem Sommer beharrlich  35 Grad und mehr an.   Da ist trinken angesagt. Ich folge meinem Großvater und bereite mir einen Tee, Jasmintee, setze mich unter die Markise und fühle mich ein bisschen wie der Kaiser von China.                 

 

 

Schafe

Wir haben Quartier genommen beim  Bauern in Schöndorf. Auf der Koppel grast Heinrich der Schafbock, kräftig, mit schwarzem Kopf, großen schneckenförmigen Hörnern, ein starker Widder. Jeden Tag bringen Züchter  ihre Schafe, um Heinrichs Dienste in Anspruch zu nehmen. Aus dem Ort werden sie am Strick heran geführt, von den Nachbardörfen kommen sie mit Pferdewagen oder Traktor gefahren. Ein Schaf erscheint im Fahrradanhänger, eins wird im Beiwagen eines Motorrades herangeknattert. Dann hält ein Trabant, heraus springt ein Schaf. Wir staunen, wir erleben die sprichwörtliche Schafsgeduld. Kaum hören wir ein leises „bäh, bäh".

Nicht so bei Heinrich. Er ist der Chef und respektiert nur große Menschen, aber wehe, wenn so ein kleiner Bursche wie unser Sohn sich auf die Weide wagt. Von hinten pirscht sich Heinrich heran und pufft den Jungen, der dreht sich empört um. Der Schafbock stößt den Kleinen um, der rappelt sich auf. Heinrich schubst ihn, der Junge zappelt auf dem Rücken, die rot bestiefelten Beinchen rudern herum, er springt auf.  Der Schafbock nimmt erneut Anlauf. Der Junge brüllt, der Bauer lacht, der Vater greift ein und hebt den empörten Sohn über den Zaun.

Diese Geschichte fällt mir wieder ein, als wir durch das schottische Hochland reisen. Die Straße führt durch Weidegebiete. Du musst von Zeit zu Zeit anhalten, ein Gatter öffnen und schließen bevor die Fahrt fortgesetzt werden kann. Schafe sind überall. Ein Auto hält, es springen zwei Schäferhunde heraus, rennen los und als der Fahrer aus dem Auto steigt, haben die zwei bereits mit dem Eintreiben begonnen.

Wir wundern uns über eine einsame Telefonzelle, weitab von jeder menschlichen Siedlung. Als wir näher kommen, geht die Tür auf, heraus kommt ein Schaf.

 Auf Parkplätzen können wir den Kofferraum kaum öffnen kann. Schafe stöbern nach Essbarem.

Bei uns in Hoppegarten weiden die Schafe auf dem Trockenrasen der alten Trainierbahn. Der Schäfer lässt seine Herde nicht aus den Augen. Sein langhaariger Hütehund reagiert auf jeden Pfiff und hält die Schafe zusammen.  Ich bestaune den langen Schäferstab mit dem kleinen Eisen. „Damit steche ich die giftigen Pflanzen aus“, sagt er und erzählt „so richtig lohnt sich die Schafhaltung nicht mehr, die Wolle will kaum einer abnehmen.“ Schade ist das. Wer freut sich nicht an dem friedlichen Bild einer behüteten Herde?

 

 

Sibirische Gäste

Weit aus dem Osten am Nordpolarmeer,  wo die riesigen Flüsse monatelang zugefroren und der Boden  bis  sechshundert Meter tief  in Dauerfrost erstarrt ist, kommt zu uns ein Wintergast, der Sanderling, ein kleiner Vogel, ein Strandläufer.

   Während der kurzen sibirischen Sommermonate taut die obere Bodenschicht der Tundra leicht auf. Über Moos, Flechten und Zwergsträuchern sirren Mücken, surren Stechfliegen. Lemminge und Schneehasen lassen sich das Pelzchen von der Sonne wärmen. Vögel brüten, suchen nach Futter für ihre Jungen.

Am kiesigen Strand des Polarmeers findet der Sanderling im Spülsaum des Wassers Krebschen, Muscheln und Insekten. Unablässig  folgt er den zurückweichenden Wellen und weicht mit hastigen Schrittchen den rücklaufenden aus.

   Bevor im eisigen Winter die Tundra wieder erstarrt, machen sich die Sanderlinge auf den Weg an die Ostsee. Hätten sie einen Ausweis mit Kennzeichen, würden wir lesen: Oberseite hellgrau, Unterseite weiß, Flügel dunkel bespitzt, dazu schwarze kurze Beinchen, schwarzer Schnabel.

   Stürmisches Wetter an der Küste von Ahrenshoop, ich muss mich gegen den Wind stemmen. Das Wasser bedrängt den schmalen Strand, die Buhnen werden von Wellen überspült. Sieben von ihnen sind von Sanderlingen besetzt. Sie stehen, Brust in den Wind gereckt und hacken nach dem anhaftenden Tang, Kommt eine Welle, flattern sie der Reihe nach auf und lassen sich sofort nacheinander wieder nieder, um weiter in den Algen zu stochern. Im Näher kommen höre ich ihre hellen Rufe, „pitt, pitt, quitt, quitt, quick, quick, trrrrrr“. Vorsichtig nähere ich mich und nun verstehe ich, der erste vor der anrollenden Welle ruft, „die Welle steigt, ich fliege auf, das Wasser sinkt, ich lande“. Der zweite schreit beim anrückenden Wasser zeitversetzt, „die Welle steigt, ich fliege auf, das Wasser sinkt, ich lande“. Der dritte singt Zeitchen später, „die Welle steigt, ich fliege auf…“ und nacheinander verkünden alle sieben wie im Kanon, „das Wasser steigt…, steigt…, steigt…,  ich fliege auf,… auf…, auf…, ich lande, …lande …lande“. Es ist, als würde die Welle sich in der Luft durch die kleinen Vögel fortsetzen. Vorsichtig gehe ich noch näher heran, da heben sie gemeinsam ab und fort geht`s zur nächsten Buhnenreihe. Schon wieder klingt das „pitt, pitt, quitt, quitt, quick, quick, trrrrrr“,  Wellen rollen an den Buhnen, ihnen folgt  die Luftwelle der Vögel.

 

 

 Störche

1995 liegen die Sommerferien sehr spät. So kommt es, dass wir im September noch an der bulgarischen Schwarzmeerküste sind. In den letzten Tagen fällt uns eine Vielzahl von Störchen auf. Sie staken über die Weiden, stochern auf abgeernteten Feldern und sitzen auf Masten und Leitungen. Worauf warten sie?

Wir liegen am Strand, da erscheinen dunkle Punkte über dem Meer. Sie kommen vom Horizont, wachsen, werden immer größer, sind nicht mehr zählbar. Jetzt kann man die lang ausgestreckten Hälse, die schwarzweißen Schwingen und die langen nach hinten gerichteten  Beine erkennen, es sind Störche. In gleichmäßigem Ruderflug  nur wenige Meter über den Meereswellen ziehen sie heran.  Sowie sie das Land erreicht haben, hört der Flügelschlag auf. Sie nutzen den warmen Aufwind und lassen sich tragen. Über unseren Köpfen schweben sie lautlos kreisend aufwärts, bilden eine riesige sich hochschraubende Spirale. In der Höhe, ein Kilometer, zwei Kilometer, ich weiß es nicht, treiben die ersten Störche in Richtung Türkei davon während unten immer neue Vögel in die Spirale einsteigen, es müssen Tausende sein. Längst sind wir aufgesprungen, staunend sehen wir sich weitere Spiralen bilden. Über dem Land drehen die Vögel in faszinierendem pausenlosen Hinauf. Nach zwei  Stunden rotieren immer noch dutzende Spiralen, nehmen direkt über uns die Ankommenden vom Meer auf und geben in der Höhe die Abreisenden frei. Wir erleben den Ostzug der Störche ins afrikanische Winterquartier. Unsere Freunde aus Brandenburg sind nicht dabei, sie benutzen die Westroute. Dann ist alles vorbei. Der Nacken schmerzt, das macht nichts, stumm und glücklich sitzen wir wieder auf unseren Handtüchern.

Zwei Jahre vergehen. Da fällt mir ein Büchlein mit Tonkassette zur Selbsthypnose in die Hand. Sofort bin ich interessiert, schließlich praktiziere ich seit zwanzig Jahren autogenes Training. Ich folge der Anleitung, zähle langsam von hundert rückwärts, lasse mich von der Tonbandstimme verführt in Trance versetzen und stelle mir vor, dass ich durch das Dach unseres Hauses schwebe, an den Meeresstrand gelange und weiter und weiter überall hin. Ich gleite über angenehmen Orten und suche, wo es schön war.                                      Wieder sehe ich die rotierenden Störche und da passiert es, ich werde mitgezogen, mit ausgebreiteten Armen und lang gestrecktem Körper steige ich langsam kreisend und schaue mich um. Neben mir gleiten die Störche. Sie bemerken mich nicht, ich bin da, gehöre dazu und verlasse wie sie in großer Höhe die Spirale. Es geht nach Süden. Unter mir liegt das farbige Istanbul, der Bosporus, das blaue Meer. Wir erreichen die Küsten Afrikas. Da ist die Sahara, ich lausche wieder dem ansteigenden Zirpen der Zikaden und sehe die roten Sanddünen im Abendlicht. Nach einer Zeit der Stille höre ich sehr unwillig die Stimme, die mich zur Umkehr auffordert.

Heute nach zehn Jahren verwischen sich Wirklichkeit und Traum. Der Vogelzug verliert sich, aber jederzeit  kann ich das glückliche Steigen mit den großen beeindruckenden Vögeln zurückholen.

           

                                                                                             

Feuer und Fisch (aus Zwischen Stromsperre und Popcorn)

Sehr bequem ist das einheizen bei uns geworden, jedenfalls solange die Technik funktioniert und die Rechnung bezahlt ist. Gas, Strom, Wasser kommen ins Haus und ich mache mir wenig Gedanken.

Ich war fünf Jahre alt, der Krieg war beendet, da waren diese Kostbarkeiten nicht selbstverständlich. Mein Großvater besorgte einen kleinen Kanonenofen und lange Rohre, die ihren Ausgang im Fenster der kalten eigentlich fern beheizten Wohnung hatten. Wohin er mit der Mutter fuhr, um Holz zu schlagen, weiß ich bis heute nicht. Wahrscheinlich wurde es unter Lebensgefahr in der Rostocker Heide gestohlen, aber wir Kinder hatten es warm. Heute besteht mein Umgang mit Feuer im Anzünden von Kerzen.

Auf der Gitarre probiere ich ein paar Akkorde für das Weihnachtskonzert mit Renate und Helga im Pflegewohnheim unserer Mütter. Ich habe mir einen einfachen Adventskranz in die Stube geholt, in der Mitte brennt eine dicke Kerze. Wann habe ich eigentlich das letzte Mal richtig Feuer angemacht?

Unsere Kinder waren noch klein. Wir hatten einen kühlen Sommer und froren am steinigen Strand vor der Steilküste. „ Wir müssen zurück, es ist zu kalt“, sage ich. Die Kinder maulen, sie lieben diesen Platz. „ Machen wir ein Feuer“, schlägt der Vater vor und schon geht es los. Treibholz gibt es genug. Mit Feuereifer im wahrsten Sinne des Wortes machen sich alle ans suchen. In kurzer Zeit ist ein Vorrat beisammen. Mit seinem großen Tauchermesser schnitzt der Vater Späne, schichtet darüber das Treibholz, spendet ein Stück von seiner Zeitung und versucht, alles anzuzünden. Der Wind bläst es sofort wieder aus. Ratlosigkeit. Wir stellen die Räder vor die Feuerstelle in den Wind, hängen Handtücher und Bademäntel davor und bauen unseren ersten Windschutz. Später verbessern wir die Ausrüstung und ich nähe auf Omas alter Singermaschine eine bunte Strandmarkise.

Der zweite Versuch klappt, es wäre ja auch ein Ding, wenn der Vater als lang geübter Raucher das nicht schaffen würde. Nun hocken wir alle vier am Feuer, die Kinder schieben, stochern und legen das Holz nach, endlich dürfen sie ungestraft kokeln. „ Kartoffeln müsste man haben“, erinnere ich mich an frühere Lagerfeuer.  „Das ist nicht möglich, aber ich könnte einen Fisch fangen“,  sagt der Vater und macht sich auf ins Wasser. Schon oft hat er beim Schnorcheln mit seinem Neptundreizack Fische erbeutet und auch dieses Mal hat er Glück. Er kommt mit einer dicken Aalquappe zurück. Das ist ein schmackhafter Speisefisch.  Die auffällig grünen Gräten stören nicht. Jetzt sitzt der Vater bibbernd am Feuer, erwärmt sich langsam und versucht, den Fisch zuzubereiten. Der aber lässt sich Zeit, es zischt und brutzelt, es tropft und duftet, aber so schnell wird der Fisch nicht weich, er ist keine Kartoffel. Wir fangen an, den Vater zu bedrängen, „der ist bestimmt schon gar, er riecht doch schon ganz gut.“ Weilchen später: „ Jetzt kann man ihn aber sicher essen.“ Der Vater zögert, schließlich gibt er nach, der Fisch kommt aus dem Feuer und wird geteilt. Der kleine Peter beißt hinein und spuckt empört wieder aus, „zeußlich zmeckt nich, ess ich nich.“ Ich koste vorsichtig: „Roh, ohne Salz, ungenießbar, nein danke!“ Antje isst. Papa hat diesen Fisch gefangen, zubereitet und damit ist der über jeden Zweifel erhaben. Der Vater kaut mit langen Zähnen und schluckt: „Habe ich ihn erbeutet und besiegt, muss ich ihn auch essen!“

Feuer haben wir später noch oft am Strand entfacht, gefangene Fische ließen wir aber lieber abends von Oma in der Pfanne braten.

 

 

Zwiespältig

Die Sonne beblinzelt mich, die neu ans Meer gekommene. Heute braut sich das Wetter, für mich ungewohnt, als dicke Wolke im Osten. Schaumkämme auf den Wellen werden vom Wind abgetragen. Die Weißen schlagen gegen den ausgehöhlten Sandrand am Ufer. Da hängen sie, leichter als Watte, zittern und wappern angstvoll bis eine Bö sie erneut erfasst, zerreißt und in Fetzen davon treibt, jetzt nicht mehr ganz so weiß.

Die stark befluteten Buhnen scheinen wie Köpfe von Schwimmern über den Wellen zu tanzen. Zwei Enten schaukeln, auf geht es und ab. Mit verkniffenem Gesicht steht der Angler. Ich steure gegen den Wind das Ahrenshooper Kliff an, folge zwei Kaputzenfrauen.

Da wo der Sand flach gespült ist, lässt jede auslaufende Welle ihre Schaumkrone zurück. Die fängt vom Wind geschoben an zu wandern, sanft unmerklich schwebend, wie eine langberockte russische Tänzerin. Wenn die Gischt davon fetzt, bleibt eine blassgelbe Spur zurück. Der stabilflüchtige Schaum beunruhigt mich, sein graziles Gespiel entzückt, seine Färbung ist verdächtig.

Auf der Deichkrone rauscht rechts das Meer ins Ohr und links höre ich die surrenden Autos. Das Gehirn mischt mir die Töne nicht.

 

 

Das Salz in der Suppe

Salz ist lebenswichtig und wurde früher nicht ohne Grund weißes Gold genannt. Zwei bis drei Gramm täglich braucht der Mensch.

Salz in der Suppe ist aber auch das gewisse Etwas, das den Alltag durchbricht und das Leben schön macht.

Für das Wochenende bin ich mit Carla verabredet. Sie erscheint, umsichtig wie sie ist, schon am Vorabend und holt meine Sachen ab, damit ich nicht zu schwer tragen muss.

Am anderen Tag  steige ich aus dem Zug, suche nach dem Ausgang. Da steht sie schon und lacht mir zu. Im Cafe fragt sie vorsichtig, ob wir uns den einzigen Film, der zu dieser Zeit in der kleinen Stadt gespielt wird, ansehen können. In dem preisgekrönten iranischen Film wird in einer Familie der an Alzheimer erkrankte Vater Auslöser von Konflikten. Carla kennt die Ängste, die mich plagen, seit die Mutter verwirrt war. Doch, ich möchte den Film sehen, mit Verdrängen ist solchen Sorgen nicht beizukommen.

„Nader und Simin, eine Trennung“ erweist sich als rührend und großartig, wirft fesselnde Fragen auf, Antworten  werden nicht sofort gegeben. Minutenlang schweigen wir nach der Vorstellung. Erst im Auto fangen wir an, uns  behutsam auszutauschen.

Später beim Wein geht es weiter über den Film, Gott und die Welt. Wir tauschen uns aus, lachen und lästern über Menschen, insbesondere Männer, Zeit vergeht. Schlafen!

Nachts besucht mich Madonna, eine zierliche Schöne, die Katze. Die Sonne weckt mich.

Auf geht’s ins Tropical Island. Lange Schlangen drängen sich lärmend vor den Kassen.  Als Carla sagt, „Wir müssten mindestens eine Stunde lang anstehen“, schütteln wir gemeinsam die Köpfe und fahren weiter  hinein in den Spreewald. Beim Herumstöbern in Burg lassen wir  es uns gut gehen und lachen, wenn einer  von uns  sagt, dass wir immer noch anstehen würden. Auf   einem Kahn werden wir von einem Schiffer mit beeindruckendem Bart durch die Wasserarme gestakt. „Bist´n  Hübsche!“, sagt er Carla und macht ihr den Hof. Zwar steht sie dem Redseligen Rede und Antwort, erklärt ihn zum Spreewaldkönig, nachdem er den beschrieben hat, aber die Frage nach ihrem Wohnort überhört sie.

Dann tauchen wir  ein in das warme salzige Wasser der Therme, lassen uns besprudeln und besalzen, testen die Saline, machen einen Abstecher in die Sauna.

Die Heimfahrt geht über Landstraßen,  vor orangefarbenem Himmel  ragen in der Ferne scheinbar beinlos Kühe aus dem Wiesennebel.

Am anderen Morgen fallen wir aus dem Haus in den Wald direkt in die Pilze. Wäsche trocknet hinter dem Haus, wir setzen uns dazu, putzen die Pilze, schon brutzeln sie in der Pfanne.

Und die ganze Zeit reden wir und reden und die Worte gehen nicht aus.

Dann fahren wir nach Berlin  in die katholische Kirche Marzahn.  Wir wollen das Ergebnis einer Chorwerkstatt hören. Robert Schumann steht auf dem Programm.  Die Kirche nimmt uns  in ihrer modernen Architektur sofort für sich ein. Ein aus  einem Eichenstamm herausgehauenes  Kruzifix beherrscht den Raum. Wir hören die Klänge der Schumann- Messe, sind beeindruckt vom Gesang, nur der herumfuhrwerkende Dirigent verwundert mich. Hinterher höre ich: „Mit Absicht habe ich nicht gesagt, dass ich bei seinem Dirigat immer an Hurvinek denken muss.

Der letzte Sommer war verregnet, dieses Wochenende hat entschädigt. Nicht nur die Sonne, Carla hat nachgesalzen.

 

 

Mühlentag im Fläming

Eine Dame tut sich schwer beim Einsteigen. „Ich bin zu dick“, sagt sie, der Busfahrer tröstet: „Solange Sie nicht mit der Feuerwehr aus dem Haus geholt werden müssen, geht’s.“

Die Autobahn zieht sich, der Reiseleiter erzählt, dass der Fläming eine eiszeitliche Endmoräne ist und dass er benannt wurde nach den im 13. und 14. Jahrhundert eingewanderten Flamen.

Sommergrün strahlen die Felder aus roten Mohnblumensäumen. Wir überqueren die Dahme.

…..Vor mehr als zehn Jahren stand ich ratlos an eben diesem Ufer mit meinem blockierten Fahrrad. Das Ziel, Carlas Gehöft, in greifbarer Nähe; keine Brücke, ein drohender zwanzig Kilometer langer Umweg. Keiner der anliegenden Bauern, der bereit gewesen wäre, mich mit seinem Kahn überzusetzen. Mutlos und wütend wollte ich aufgeben. Da tauchte ein schnittiges Sportboot auf. Nie hätte ich gewagt, so feine Planken mit meinem Fahrrad zu betreten, der Schiffer erkannte meine Not und bot mir die Überfahrt.

Erleichtert, schwitzend, hochrot, erschöpft quälte ich mich die letzten Kilometer durch den in der Hitze brütenden Wald. Carla baute mich und Ron mein Fahrrad wieder auf.

   ..Heute nun geht alles wie von selbst, der Bus karrt uns bis vor die Tore der Görsdorfer Bachmühle. Die mittelalterliche Mühle hat einst Korn gemahlen, Leder gewalkt, Holz geschnitten, Öl gepresst. Sie diente zur Unterbringung von Kriegsgefangenen, war Wohnung für Flüchtlingsfamilien, beherbergte die bäuerliche Handelsgenossenschaft und stand die letzten zwanzig Jahre leer, bis sie von zwei jungen Leuten erworben und mühsam wieder zugänglich gemacht wurde. Der „Müller“ empfängt uns stolz mit einem Lied über seine Mühle, erzählt ihre Geschichte und will mit der Sage über den Krabat, den guten Geist der Sorben, abschließen. Da fällt ihm eine Frau ins Wort: „Soll das hier so bleiben, so primitiv, so ohne jeden Umbau, ich habe schon viele Mühlen gesehen, die zu schmucken Gaststätten ausgebaut wurden, was soll das hier?“ Ich kenne die Frau nicht, aber ich schäme mich für sie. Sie hat nicht begriffen, dass hier zwei junge Menschen einen Traum leben, dabei sind, mit ihrer Liebe und ihrer Kraft eine Mühle, ein Kulturdenkmal, zu retten.

…..Wir fahren Bockwindmühle, Holländermühle und eine als Künstleratelier genutzte alte Mühle an, essen Fleisch vom Grill, werden in einer Garage mit Kuchen von riesigen Blechen und mit Kaffee aus großen Kannen bewirtet, wandern durch verwunschene Mühlengärten.

Ein schöner erlebnisreicher Tag, eine aufgemotzte Mühlengaststätte brauche ich nicht.

 

 

Neuanfang im Schlaubetal

Ostermontag nutze ich zu einer geführten Wanderung durchs sagenhafte Schlaubetal. Auf den Wirchenwiesen im Reich der Schlangenkönigin entspringt die Schlaube. Schon die poetischen Ortsnamen lassen aufhorchen, Bärenklau, Siehdichum, Klingemühle.                                                                                                                                                                                                           „Es ist nicht der größte, wohl aber der schönste Naturpark in Brandenburg“, schwärmt Mario M., der Ranger von der Naturwacht. Der ehemalige Facharbeiter für Landwirtschaft und Agrartechnik verlor nach der Bonner Übernahme seine Arbeit. Fast zwei Jahre beobachtete er hilflos das Treiben der neuen Herren, die sich in der Landschaft billig einkauften und sich keinen Deut um Naturschutz und gesetzliche Regelungen kümmerten, Holzeinschlag betrieben, wo es nicht gestattet war und glaubten mit Geld alles richten zu können. Da in den alten Bundesländern das Leben in Naturparks fest geregelt und kontrolliert wird, meinten viele, sich hier ungestraft bewegen zu können, gruben seltene Pflanzenarten aus, plünderten die Orchideenwiesen; sie stellten Falken und anderen Greifvögeln nach, raubten Eier aus den Nestern der Seeadler, 15.000 D-Mark zahlten Sammler für ein Ei. Als sich die Brandenburger Naturwacht gründete und Mitarbeiter suchte, war Mario M. dabei, machte eine Ausbildung zum Natur- und Landschaftspfleger.

Ein paar Stunden habe ich das Vergnügen, mit seinen Augen die Natur zu betrachten, während wir dem Oberlauf der Schlaube folgen, die sich durch eiszeitlich entstandene, bis zu dreißig Meter tiefe Schluchten windet. Erlen, Buchen, Hainbuchen strecken vorsichtig ihre hellgrünen Blattspitzen heraus. Hundsveilchen, Buschwindröschen, Scharbockskraut und Gelbstern recken ihre Köpfchen, die purpurrote Taubnessel bildet ganze Teppiche. Gebirgsstelzen bewegen sich im Schaukelflug über der Schlaube, dümpelnde Schellenten auf dem Wirchensee äugen nach hohlen Baumstämmen und den aufgehängten Nistkästen. Den blauen Eisvogel kann das Auge nur als vorbeischießenden Pfeil erfassen. Vorsichtig nehmen wir einen feuchten Teichfrosch in die Hand, auch die trockene Blindschleiche.

Schlangengleich windet sich an unerwarteter Stelle ein Bärlapp, der Urahn der Nacktsamer. Älter als die Saurier  hat er sich auf der Erde gehalten und wird von Mario kartiert, kommt in eine Liste und ein spezielles Computerprogramm. Wer ahnt denn, dass die Mitarbeit am wissenschaftlichen Artenschutz, die Erfassung von Vögeln, Bibern, Ottern, die Öffentlichkeits- und Jugendarbeit neben der Gebietskontrolle zur Arbeit der Ranger gehört. Begeistert erzählt er, lässt sich geduldig auf alle Fragen der Wanderer ein.

Kurz vor dem Ziel, Gulaschkanone, Holzbänke am Hang, angeordnet wie im Amphitheater, die Bühne bildet der See, werden wir zu einer Rotbuche geführt. Lisa und Micha haben sich hier 1997 mit einem Herzchen verewigt und sind seither Jahr für Jahr um Silvester hier gewesen, das letzte Datum leuchtet noch sehr hell, unverwittert. „Das macht man ja nicht“, sagt der Ranger, und dennoch scheint er sich über die Anhänglichkeit des Pärchens an „seinen“ Naturpark zu freuen.

Sein persönlicher Neustart im Schlaubetal ist gelungen. Aus dem arbeitslosen Forstfacharbeiter ist ein engagierter Naturwächter geworden.

 

 

Unterwegs

„Man muss sich vorwärts bewegen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren“, mahnt schon Albert Einstein.

Ich schaue nach, ja, das hat er gesagt, aber das ganze Zitat lautet: „Das Leben ist wie ein Fahrrad, man muss sich vorwärts bewegen, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.“ Die Sache mit dem Fahrrad ist bekannt, wer erinnert sich nicht an seine eigene wacklige Anfängerzeit, und obwohl es heißt, das verlernt man nie, merke ich, dass nach langer Radfahrpause mein Gleichgewicht erneut schwächelt.

Wie aber ist es mit der Vorwärtsbewegung und dem Gleichgewicht in meinem Leben?

Die Wochen sind vollgestopft mit Terminen. Ich freue mich auf die Sommerferien, da habe ich Zeit. Und was mache ich nun damit? Stillstand lähmt, macht mich unzufrieden. Schon organisiere ich mir neue Unternehmungen, fahre mit dem Seniorenbus durchs Brandenburger Land.

Ich habe Glück, sitze als Beifahrer hoch über der Straße und lasse mich auf tief ziehende weiße Wolken, blaue Kornblumen, roten Mohn, gelbe Kornfelder und stillgelegte Bahngleise ein. Noch habe ich ein gutes Gefühl, ich bewege mich vorwärts.

Der strenge Winter bringt sich noch einmal mit zahllosen Straßenbaustellen in Erinnerung, Umleitung, Umleitung. Nach der ich weiß nicht wievielten sagt der Fahrer: Darüber sprechen wir nicht, wir sagen dazu Unwort des Tages. Ich lache, ärgere mich auch nicht, als wir an der nächsten Baustelle schon wieder anhalten müssen. Wir kommen weiter. An der Raststätte eile ich in die Damentoilette, natürlich besetzt. Bevor ich das erkennen kann, werde ich schon von der Toilettenfrau angeranzt: „Können Sie nicht draußen warten?“ Erschrocken stolpere ich zurück, verblüfft von soviel Unhöflichkeit. Na warte, beim Hinausgehen lege ich ihr einen Cent auf den Teller, fein ist das nicht, aber gut für mein Gleichgewicht.

Einzeln stolzierende Störche kündigen das Storchendorf an, Rüdnitz steht auf dem Schild. Störche kreisen in der Luft, schon recht stattliche Jungstörche warten in den Nestern auf den Dächern, bedrängen die Alten, werden gefüttert. Ich will das rege Treiben mit dem Handy festhalten. Daraus wird nichts, ich bleibe ohne Foto. Seit meinem schönen Hönower Regenbogen vor Wochen habe ich kein Bild mehr geschossen, finde die richtige Funktion beim Handy erst im Abfahren.

Ja, ja Herr Einstein, auch Technik will bewegt werden!

Am Zielort in einem großen Saal werden wir an langer Tafel bewirtet. Der Wirt macht in Kultur, laut tönt klassische Musik aus den Boxen. Die Frau gegenüber schwatzt pausenlos, beschwert sich über Art und Lautstärke der Musik. Warum? Offensichtlich ist sie unzufrieden, weil sie selbst schlecht zu hören ist, denn sie redet, redet…, wichtig und etwas dümmlich. Als das Essen kommt, hoffe ich, jetzt wird sie wohl still sein. Aber sie stopft sich mit zwei Bissen den Mund voll und redet weiter. Ich schüttle innerlich den Kopf. Später denke ich, hätte ich nicht lächelnd darüber hinwegsehen können? Wenigstens habe ich nicht auf sie reagiert, wie es früher mit Sicherheit passiert wäre. Ich bin mit den Jahren ein bisschen, nicht besonders viel, aber doch etwas weiter gekommen mit meiner Toleranz.

Der Wirt unterhält uns. In leierndem Pathos trägt er auswendig lange Gedichte vor, wir belohnen seinen Fleiß mit dünnem Applaus. Dann singt er das Lieblingslied meines Vaters:

Ännchen von Tharau. Er singt es laut, voller Inbrunst und - trifft keinen Ton. Einige Damen versuchen mitzusingen, unmöglich, diesen Tönen lässt sich nicht folgen. Natürlich kennt er alle Strophen, mir ist noch nie zuvor aufgefallen, wie lang dieses Lied ist. Schluss! Da sagt mein Gegenüber: „Toll, Mittagessen, sogar mit Kulturprogramm!“

Rückfahrt nur noch mit drei Kleinbussen, der schwarze Bus mitsamt der Gegenüberfrau, der lauten, fährt vorzeitig ab. Schwarzer Bus, denke ich, wie ein Leichenwagen, und das bei einer Seniorenfahrt, Mensch, Mensch!

Wäre ich besser zu Hause geblieben? Was hat mir diese Art von Fortbewegung gebracht?

Mit Umleitungen, Toilettenfrau, ohne Fotos, mit Pathos und falschen Tönen bin ich mehr oder weniger fertig geworden. Da hat schon eher die dumme Schwätzerei mein Gleichgewicht gestört.

Bei der Heimfahrt werfen Windräder huschende Schatten über die Felder, gaukeln mir Hasenwettläufe vor. Der Abend hängt sein besonderes Licht über Wälder und Wiesen.

Da habe ich mein Gleichgewicht wieder.

 

 

Sommerabend

 

Über mir prahlen orangerote Farben,

schüchtern umwirbt mich die Wiese am Graben.

Grillen, sie zirpen; Wildmöhrenduft lockt

mich und den Hasen, der am Wegesrand hockt.

Beäugt mich und spielt mit dem Langlöffelohr,

es kommt mir so vor

als begrüße er mich,

dann sagt sein Haken: Auf dich wart ich nicht!

Fern kommt vom Kirchturm vertrauter Ton,

Himmel wird dunkler, Tag eilt davon.

 

 

 

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